Kondensmilch: 8 spannende Geschichten & Fakten
Kondensmilch: 8 spannende Geschichten & Fakten
Mehr als eine eiserne Reserve
Bekannter und weiter verbreitet ist die süsse Kondensmilch, aber es gibt sie mit Zucker oder ohne. Schleckmäuler erinnern sich. Entweder man löffelt sie aus einer Büchse oder man drückt sie direkt aus der Tube. Die Milch aus der Konserve gehört zu den sogenannten Dauermilchwaren. Diese machen heute rund 9% der jährlichen Milchproduktion aus. Dass Kondensmilch aber mehr ist als die eiserne Reserve im Vorratsschrank, zeigen folgende Anekdoten und Fakten.
1. Patin unseres Zmorge-Klassikers
Haferflocken, geraffelte Äpfel, geriebene Nüsse, Zitronensaft und gezuckerte Kondensmilch: Das ist das Originalrezept für "d'Spys". Die Diätmahlzeit gelangte später unter dem Namen ihres Erfinders zu Weltruhm: Maximilian Bircher-Benners Birchermüesli.
Dass der Müesli-Pionier Milch aus der Konserve verwendete, hat wohl mit der damals schlechten Haltbarkeit frischer Milch und den Nährstoffbedürfnissen seiner Patientinnen und Patienten zu tun. Fest steht: Der Klassiker ist ohne Kondensmilch nicht denkbar.
Fairerweise muss gesagt werden: Das Birchermüesli auf heutigen Frühstücksbüffets hat nicht mehr viel mit dem Original zu tun. Kondensmilch wird oft zugunsten von Joghurt oder Rahm sowie weiteren Früchten weggelassen. Denn wirklich diätfreundlich ist die Kalorienbombe nicht.
2. Industrielle Pionierin
Kondensmilch ist eine echte Schweizerin. Nicht nur wegen des Birchermüeslis. Im Jahr 1866 eröffnete die Anglo-Swiss Condensed Milk Company in Cham die erste Kondensmilchfabrik Europas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fusionierte das Unternehmen mit Nestlé. Kondensmilch hat so zur steilen Entwicklung vom Milchverarbeiter zum globalen Lebensmittelmulti beigetragen.
Die Geschichte hat Spuren hinterlassen. Die Bezeichnung "Chamer Milch" für Kondensmilch ist auch heute noch geläufig.
3. Internationaler Küchenstar
Die Kondensmilch mag fest in der Schweiz verwurzelt sein, hat in der Zwischenzeit aber Weltruhm erlangt. In zahllosen internationalen Spezialitäten spielt sie eine Hauptrolle.
Meine 4 Favoriten:
Asien: Teh Tarik
Der "gezogene Tee" ist in Malaysia Kultgetränk. Schwarztee wird mit Kondensmilch gemischt und aus grosser Höhe so lange von einem Gefäss ins andere gekippt, bis sich eine Schaumkrone bildet. Erst dann kommt er – heiss oder gekühlt auf Eis – ins Glas.Südamerika: Brigadeiros
Die "Brigadiere" sind Pralinen aus Brasilien. Sie sehen aus wie Truffes und bestehen aus Kondensmilch, Kakao und Butter. Keinesfalls fehlen dürfen die Schokoladenstreusel, in denen die Brigadeiros vor dem Servieren gewendet werden.Nordamerika: Key Lime Pie
Das "Key" bezieht sich auf die Florida Keys – eine Inselkette, wo besonders schmackhafte Limetten wachsen. Der Saft dieser Limetten wird mit Kondensmilch vermischt, auf einem Tortenboden verteilt und mit geschlagenem Eiweiss überbacken. Fertig ist der US-Klassiker!Afrika: Chakery (auch Caakiri oder Thiakry)
Das westafrikanisches Dessert besteht aus gekochtem Getreide – meistens Couscous – und einer süssen Sauce. Hier kommt die Kondensmilch ins Spiel: Sie wird mit Joghurt vermischt, mit Vanille, Zimt oder Muskat gewürzt und je nach Lust und Laune mit Früchten serviert.
4. Kondensmilch und Glace: ein Dreamteam
Wo uns sowieso gerade das Wasser im Mund zusammenläuft: Reden wir doch über Glace! Und zwar nicht über Rahm- oder Joghurtglace, sondern über Glace mit Kondensmilch. Noch nie davon gehört? Dabei enthält Kondensmilch nahezu alles, was eine cremige Glace braucht: Zucker, Fett und gebundene Flüssigkeit. Sie eignet sich deshalb prima für eine einfache Glace mit wenigen Zutaten. Man nehme Rahm, Kondensmilch und Schokoladensplitter – fertig ist die selbst gemachte Stracciatella-Glace. Mit vielen Gewürzen verfeinert, aber ebenso simpel zubereitet, ist die Golden-Milk-Glace:
Zum Rezept für Golden-Milk-Glace
- 8h30min
- Vegetarisch
5. Retterin in der Not
Kondensmilch gilt als Krisenmilch. Sie hat sich als energiereiche Notration für schwierige Zeiten einen Namen gemacht. Etwa bei Soldaten im amerikanischen Sezessionskrieg. Nach ihrer Heimkehr verhalfen sie der süssen Paste, die über 1300kcal pro Dose liefert, in der Zivilbevölkerung zu grosser Beliebtheit.
Die Konservierungstechnik geht auf den Franzosen Nicolas Appert zurück. Die industrielle Produktion verdanken wir dem Amerikaner Gail Borden. Er befand sich 1851 auf einer Schiffsreise von Europa nach Amerika, als die beiden Kühe, die für die Versorgung der Passagiere mit an Bord waren, schwer erkrankten. Kinder, die von der verseuchten Milch getrunken hatte, starben. Solches Leid wollte Gail Borden künftig vermeiden und entwickelte einen Prozess für Milchkonservierung im grossen Stil. Einige Jahre und Versuche später bekam er schliesslich 1856 das Patent für sein industrielles Verfahren zur Herstellung von Kondensmilch.
6. Treiberin für landwirtschaftliche und gesellschaftliche Innovation
Schon Gail Borden regte Innovationen an: Um eine Kontamination seiner Produkte mit Keimen zu vermeiden, setzte er verbindliche Hygienestandards für jene Betriebe fest, die ihm ihre Milch verkaufen wollten. Ähnliche Regeln gab es auch in der Anglo-Swiss Condensed Milk Company in Cham, wo die Milch in extra gesäuberten Behältern angeliefert werden musste. Der Gründer der Anglo-Swiss, George Page, beriet Bauern zudem darin, wie sie mit vergleichsweise fortschrittlicher Haltung und Fütterung des Viehs ihre Produktion verbessern konnten.
Page machte sich auch für gesellschaftliche Veränderungen stark: Für die damalige Zeit fast revolutionär war die Tatsache, dass die Angestellten ihren Lohn auch dann erhielten, wenn sie krank waren oder wegen eines Arbeitsunfalls nicht zur Arbeit erscheinen konnten.
7. Die Sache mit der Haltbarkeit
Von der Front des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861-65) gelangten Bordens Kondensmilchdosen bald auch in Privathaushalte – als Alternative zur schnell verderblichen Frischmilch. Das Verfahren zur Haltbarmachung hat sich seitdem natürlich weiterentwickelt: Die Milch wird zunächst pasteurisiert (dieses Verfahren war zu Bordens Zeiten noch Zukunftsmusik), dann in einem speziellen Vakuumverfahren durch Wasserentzug eingedampft. So erhält sie ihre dickflüssigere Konsistenz. Zum Schluss wird sie erhitzt und haltbar gemacht. Durch das Erhitzungsverfahren (Ultrahocherhitzen oder Sterilisieren) werden alle Keime abgetötet. Ungeöffnete Kondensmilch hält sich ohne Kühlung deshalb 6-12 Monate (Mindesthaltbarkeitsdatum). Einmal geöffnet, hält sich Kondensmilch im Kühlschrank 2-3 Wochen.
8. Kondensmilch selber machen? Warum nicht.
Auch ohne Vakuumverfahren: Selbermach-Fans können Kondensmilch selber herstellen. Hierfür kochst du einfach Milch und Zucker ein. Gewusst? Dulce de leche ist nichts anderes als weiter eingekochte (und mit Vanille verfeinerte) Kondensmilch. Die brasilianische Milchkonfitüre wird für Süssspeisen wie Pudding oder Glace verwendet – und ist dazu ein in Lateinamerika weitverbreiteter Brotaufstrich. Aber zurück zur Kondensmilch: Unsere Anleitung zeigt dir ganz genau, wie du sie selber machen kannst.
Kondensmilch selber machen, so gehts.