Yes We Farm: Crowdfunding für den Bauernhof
Yes We Farm: Crowdfunding für den Bauernhof
Die Landwirtschaft, dieses Gemeinschaftsprojekt
Was hat die Freiheitsstatue in New York mit der Direktverkaufsstelle am Hof Marchand im kleinen jurassischen Dorf Courtedoux gemeinsam? Das Crowdfunding! Von 1875 an wurden mit einer gewaltigen Spendenaktion die nötigen flüssigen Mittel zum Bau des berühmtesten Werks von Auguste Bartholdi zusammengetragen. In Courtedoux geht es nicht um die Errichtung einer gigantischen Statue, sondern einfach darum, regionale Agrarprodukte in geeigneten neuen Räumlichkeiten anzubieten.
Die Idee des Crowdfundings ist also nicht von gestern, aber das Konzept hat einen langen Weg hinter sich. In Zeiten des Internets war es nie einfacher, eine grosse Anzahl Nutzer*innen zu erreichen, um sie gegen verschiedene Gegenleistungen um Hilfe zu bitten. Wie aber soll man sich von dieser Fülle von Webseiten abheben, die eine Finanzierung kultureller, kreativer oder gemeinnütziger Projekte anbieten? Und der eigenen (guten) Sache Gehör verschaffen?
Yes We Farm: eine Neuenburger Idee
Mit dieser Frage im Kopf beschloss der Neuenburger Nicolas Oppliger eines Tages, eine Crowdfunding-Plattform für Agrarprojekte von Schweizer Bauernfamilien auf die Beine zu stellen. In den sozialen Netzwerken wurde der Sohn von Milchproduzenten aus La Sagne (NE) mit falschen Vorstellungen der Internet-Benutzer*innen von der Landwirtschaft konfrontiert. Also erarbeitete er ein Projekt, um Konsumentinnen und Konsumenten, sowie Produzentinnen und Produzenten zusammenzubringen. "Für mich war es die Gelegenheit, der Landwirtschaft zurückzugeben, was ich ihr schuldete." Er investierte seine mageren Ersparnisse, um seine Idee zu konkretisieren. Holte die nötigen Genehmigungen der Banken ein, fand einen Informatiker, der seine Website programmierte. Und 2018 ging Yes We Farm online.
Ein starker Start
Die ersten Unternehmer, die sich an die Plattform wendeten, suchten 10ꞌ000 Franken, um einen Direktverkaufsladen einzurichten. Die Spenden flossen: ein Erfolg. Sehr schnell zog die Website die Neugier von Bäuerinnen bzw. Bauern und Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Westschweiz auf sich und die Benutzer*innen mobilisierten sich zu Hunderten, um Projekte gedeihen zu lassen.
Zweieinhalb Jahre später hat Yes We Farm fast eine Million Franken für annähernd 40 Projekte aufgetrieben.
Ein Dienst an der Bevölkerung
Nicolas Oppliger wendet seither seine ganze Zeit für die Plattform auf. Der Betrieb der Website wird durch eine Gebühr finanziert, die "nur auf erfolgreiche Projekte" erhoben wird. Der junge Unternehmer ist als Erster von den Möglichkeiten des Crowdfunding-Modells begeistert: "Es ist genial, was alles in der Schweiz abläuft! Die auf Yes We Farm in den Vordergrund gestellten Projekte sind Projekte vor Ort. Sie sind lokal, ganz in der Nähe. Die Leute sind sich dessen nicht bewusst." Dem Neuenburger ist völlig klar: "Einigen kann es peinlich sein, um Geld zu bitten." Dieses Gefühl musste auch das junge jurassische Landwirtspaar Patrick Marchand und Marine Küng erst mal überwinden. Schliesslich haben sie eine Kampagne zur Finanzierung ihrer Direktverkaufsstelle und der Einrichtung eines Raums zur Herstellung von Milchprodukten gestartet. Am Anfang geht das gegen den eigenen Stolz. Aber tatsächlich ist es keine Investition zum persönlichen Profit, sondern eine Investition, um der Bevölkerung einen Dienst zu erweisen."
Das Projekttreffen
Gemäss Patrick und seiner Partnerin hat die Bevölkerung durchaus Interesse an lokalen Produkten. Und um der wachsenden Nachfrage ihrer Mitbürger*innen nachzukommen, haben sich die Landwirte von Courtedoux an Yes We Farm gewandt. Mit Erfolg. Wir hatten Gelegenheit, beide zu treffen und uns vor Ort ein Bild von ihrem Erfolgsprojekt zu machen.
Eine jurassische Kampagne
Der Hof Marchand ist nicht schwer zu finden, denn er liegt am Hauptverkehrsweg von Courtedoux. An diesem regnerischen Tag hebt sich der Marienkäfer des Labels IP-Suisse gut vom Betriebsgebäude ab. Wir werden von einem lächelnden und kommunikativen jungen Paar empfangen. Für Patrick, der den Familienbetrieb 2020 mit seiner Freundin Marine übernommen hat, war 2020 ein (sehr) arbeitsreiches Jahr. "Coronavirus hin oder her, mit den Tieren ist die Arbeit immer gleich: Man muss sich damit beschäftigen und die Milch liefern." Hinzu kommen die Futterkulturen, die Arbeit an den Maschinen, der Unterhalt der Wälder ... Aber es ist auch diese Vielfalt, die der Landwirt liebt. Andererseits fordert ein Hof volles Engagement, rund um die Uhr.
Auf dem Betrieb leben Milchkühe, Rinder und Kälber sowie Pferde. Und ein Stier: Bolivio. Während wir nur schwarz-weisse und weiss-schwarze Kühe unterscheiden können, kennt Patrick seine Tiere gut. "Einige Kühe sind neugieriger als andere. Sie kommen auf Besucher*innen zu, machen sich interessant. Man muss sie einfach gernhaben." Er weiss auch, wer die Chefinnen sind und wer sich auf dem Weg zum Melkroboter überholen lässt.
Ein kleiner Hofladen am Strassenrand
Der Direktverkaufsladen befindet sich neben dem Stall. "Es ist eine Kleinigkeit im Vergleich zum Milchhandel, aber am Monatsende tut es gut", versichert Marine. Über den finanziellen Aspekt hinaus ist für beide der Austausch mit den Konsumentinnen und Konsumenten sehr wichtig. "Wir möchten das Image der Landwirtschaft aufwerten. Es nimmt Zeit in Anspruch, den Leuten unseren Beruf und all die Standards zu erklären, die wir einhalten. Ihnen zu verdeutlichen, dass man vielleicht besser lokal kauft als Bioware, die von weit her kommt. Die Kundinnen und Kunden kommen mit ihren Kindern, um die Kälber zu sehen, interessieren sich für den Melkroboter. Mit der Zeit identifizieren sie sich mit dem Hof", erklärt der Landwirt mit Begeisterung.
Wir möchten das Image der Landwirtschaft aufwerten.
Ein Direktverkaufsprojekt
Vor einigen Jahren begannen Patricks Eltern mit dem Direktverkauf von Rindfleisch und Milch. Dann erweiterten sie ihr Sortiment mit Produkten benachbarter Landwirtinnen und Landwirte. Warum also auf einem Milchbetrieb nicht auch Rahm, Butter und Joghurt verkaufen? Die Idee nahm in den Köpfen von Marine und Patrick Gestalt an. Sie benötigten eine Zentrifuge und ein Butterfass.
Im Frühjahr 2020 während des Teil-Lockdowns zog der Laden die Konsumentinnen und Konsumenten an wie ein Magnet. "Man muss auch sagen, dass in unserer Region die Grenzschliessung den Einkaufstourismus deutlich gebremst hat", stellt Patrick fest. Einige Landwirtinnen und Landwirte brachten ihm die Produkte, die sie nicht mehr an die Gastronomie liefern konnten. Denn dieser Sektor war geschlossen. Trotz allem konnte das Angebot nur schwer mit der Nachfrage Schritt halten. Der Kühlschrank war zu klein geworden und man brauchte einen echten Raum für den Direktverkauf.
Suchst du einen Hofladen in deiner Nähe? Hier findest du ihn.
Eine Familien- und Freundschaftsgeschichte
Mangels Geld hätte das Projekt der Marchands ohne den Beitrag von Yes We Farm nicht so bald umgesetzt werden können. Patricks Schwester, die im Kommunikationsbereich arbeitet, entdeckte die Crowdfunding-Plattform. Nach anfänglicher Zurückhaltung liess sich der junge Landwirt überzeugen. Zu seiner grossen Überraschung unterstützten etwa 170 Personen das Projekt, oft mit kleineren Beträgen. "Der Tierarzt, der Metzger und unser Futtermittellieferant haben uns sehr geholfen. Da waren die Freunde, die Bekannten. Jemand machte sich den Spass, eine Kuh zu sponsern!" Einige Geldgeber*innen entdeckten den Hof, als sie zum Abholen ihrer Gegenleistung kamen. Und kamen dann wieder.
Das ist der Hof der Familie Marchand.
Betriebszweige
- Milchkühe (etwa sechzig), Kälber, Rinder, Pferdepension
- Weideland, Getreide, Mais, Kunstwiesen
Betriebsleitende
- Patrick: Fachausweis Landwirt
- Marine: Bauzeichnerin. Marine führt auch einen Teil der Betriebsbuchhaltung. Dank des von Yes We Farm finanzierten Projekts wird sie die Produktion von Joghurt, Butter und Rahm zum Direktverkauf aufnehmen.
Direktverkauf: Gelegenheit zum Austausch
Als grossen Vorteil des Direktverkaufs sieht Patrik die Möglichkeit, mit den Käuferinnen und Käufer in Kontakt zu kommen: "Es ist unser Ziel, Lebensmittel zu einem günstigen Preis anzubieten und dabei trotzdem eine kleine Marge zu erzielen. Bestimmte Produkte wie etwa das Fleisch sind hier günstiger als im Supermarkt. Bei den Milchprodukten ist es komplizierter: Die Verarbeitung von Milch zu Butter oder Rahm ist mit Kosten verbunden. Selbst wenn wir unseren Preis so weit wie möglich senken, sind wir immer noch teurer, wenn wir unsere Kosten decken wollen. Der Direktverkauf gibt uns auch die Möglichkeit, diese Themen bei den Leuten anzusprechen."
Schöne Aussichten?
Dank des Verarbeitungsraums, des neuen Kühlschranks und des neuen Verkaufslokals werden Patrick und Marine ihr Angebot erweitern und gute Produkte aus der Milch ihrer Kühe anbieten können. Ihr nächstes Projekt? Sie überlegen, sich dem Projekt Schule auf dem Bauernhof anzuschliessen oder in den Agrotourismus einzusteigen. Aber alles zu seiner Zeit: Das vergangene Jahr war schon ereignisreich. "Aktuell habe ich ein grosses Projekt", wirft Patrick ein, mit einem verschmitzten Lächeln … "Mich ausruhen!"
Und die Zukunft von Yes We Farm? Gründer Nicolas Oppliger ist zuversichtlich: "Wir würden gerne eine Weiterverfolgung der Projekte einrichten, sobald sie realisiert sind. Aber zunächst wollen wir den Röstigraben überwinden und in der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz bekannt werden."