Strom und Gas aus Sonne und Mist
Strom und Gas aus Sonne und Mist
Solarstrom auf 1800 Meter über Meer
Ich bin froh, dass Beat Ming das Fahren übernimmt. Denn ab Kaiserstuhl im Kanton Obwalden führt die Strecke steil bergauf. Auf Asphalt folgt Beton, auf Beton folgt Schotter; immer schmaler wird der Weg. Wir sind unterwegs auf die Seefeldalp auf 1800 Metern über Meer, wo die 25 Kühe von Beat Ming den Sommer verbringen. Immer mal wieder muss ich aus dem Auto springen, um einen Viehzaun zu öffnen und hinter uns wieder zu schliessen. Dazwischen erzählt Beat Ming, was seine Alp so besonders macht.
Solar & mobil
"Unsere Melkmaschine betreiben wir mit einer Solaranlage", sagt er. Das macht zwar bereits der eine oder andere Älpler so. Der Clou von Beat Mings Anlage: Sowohl die Solarpanels als auch die Batterie sind mobil. Der Landwirt aus Lungern kann sie also während des Winters im Tal nutzen, im Frühling in die Voralp zügeln und später mit auf die Hochalp nehmen. So ist die Anlage jederzeit gut ausgelastet – nicht nur während des kurzen Alpsommers.
Drei spannende Zahlen zu Landwirtschaft und Solarenergie
1182
So viele neue Solaranlagen wurden 2022 auf Schweizer Bauernhöfen in Betrieb genommen. Das sind fast 60 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Bis zu 40 Prozent
So hoch ist der Solarstrom-Eigenverbrauch, der sich auf einem Milchwirtschaftbetrieb ohne Batteriespeicherlösung erzielen lässt.
75 Grad
Ist der Neigungswinkel einer Solaranlage grösser, wird sie zusätzlich gefördert. Unabhängig von diesem Bonus gibt es für die Installation von Solaranlagen eine einmalige Investitionshilfe, die rund 25 bis 30 Prozent der Investitionskosten deckt.
Erfolgreicher erster Versuch
Entwickelt hat die Anlage Max Ursin, der mit uns im Auto sitzt. Der Tüftler aus Meiringen, der mit seiner Firma auch Batterielösungen für stationäre Solaranlagen auf Hausdächern konzipiert, störte sich daran, dass so viele der schweizerweit etwa 1300 Alpbetriebe Strom mit Dieselgeneratoren produzieren. "Das wollte ich ändern: Ich haben im ‘Schweizer Bauer’ ein Inserat geschaltet und nach Interessenten gesucht, die eine solche Anlage testen möchten."
Das macht die Solaranlage so genial.
Spart pro Sommer zwischen 500 und 1000 Liter Diesel ein
Verursacht weder Lärm noch Gestank
Kann in anderthalb Stunden auf- und abgebaut werden
Mobil und somit auf der Alp und im Tal einsetzbar
Verlässlich dank Fernzugriff und App-Überwachung
In anderthalb Stunden aufgebaut
Auf den letzten Wegmetern, noch bevor die Alphütte zu sehen ist, blitzen uns schon die Solarpanels entgegen: 40 Quadratmeter Blau inmitten grüner Matten. "Rund anderthalb Stunden hat es gedauert, bis die Anlage stand – und wiederum anderthalb Stunden wird es dauern, bis alles wieder zerlegt und verpackt ist", erklärt Beat Ming. Die Leistung der Anlage liegt bei
6 Kilowatt.
Aus dem Schatten treten
Momentan produziert die Anlage allerdings weniger Strom, als man beim prächtigen Spätsommerwetter erwarten dürfte. Kaum aus dem Auto gestiegen, weiss Max Ursin auch schon warum: Zwischen den Solarpanels sind Pflanzen in die Höhe geschossen und werfen Schatten. "Du musst dringend mähen!", rät er Beat Ming. Dieser greift auch schon zur Sägesse und gebietet dem Wildwuchs Einhalt.
Handarbeit – trotz Hightech
Ohnehin ist hier oben – trotz Hightech – vieles Handarbeit: nicht nur das Mähen, sondern auch die Käseherstellung. Dafür ist Sennerin Veronika zuständig, die mit ihrem Mann Matthias und den drei Kindern den Sommer auf der Seefeldalp verbringt. Gekäst wird hier noch ganz traditionell über dem offenen Feuer. Als wir ankommen, ist die morgendliche Produktion schon fast abgeschlossen; routiniert wendet die Sennerin die frischen Käselaibe und beschwert sie mit einer Holzplatte, um die Feuchtigkeit auszupressen.
Bergromantik & Technik
Zwei, drei Schritte hinter der urigen Käserei ist es schon wieder vorbei mit Bergromantik – hier dominiert die Technik. Auf einem überraschend kompakten Autoanhänger sind alle Komponenten verbaut, die es braucht, um den Solarstrom, den die Panels vor der Hütte produzieren, zu speichern und nutzbar zu machen: zwei Salzbatterien, drei Wechselrichter und ein Laderegler.
Jedes Jahr etwa 500 Liter Diesel zu verfeuern – das geht für mich ökologisch nicht auf.
Diesel nur noch im Notfall
Die Kapazität der Anlage reicht, um den Energiebedarf der Melkmaschine für zwei Tage zu decken. Und auch fürs Radiohören und Handyladen ist genug Strom vorhanden. Für den Fall, dass sich die Sonne über mehrere Tage überhaupt nicht zeigen sollte, steht neben dem Batterieanhänger immer noch ein alter Dieselgenerator. "Den Generator nutzen wir aber nur noch ausnahmsweise, zum Holzspalten im Herbst oder wenn das Wetter über mehrere Tage wirklich sehr schlecht ist", sagt Beat Ming. "Heuer war das vielleicht an zwei Tagen der Fall."
Tipps und Tools: selber Solarstrom produzieren?
Ermittle das Solarpotenzial deines Daches. www.sonnendach.ch berechnet basierend auf Standort und Ausrichtung automatisch, wie gut die Fläche für Solarenergie geeignet ist.
Schätze deinen Eigenverbrauchsanteil. Den Nutzen deiner Solaranlage kannst du steigern, indem du den Stromverbrauch geschickt planst – also zum Beispiel den Boiler nur dann einschaltest, wenn die Anlage Strom produziert.
Prüfe die Rentabilität deiner zukünftigen Solaranlage mit einem Solarrechner. Du kannst so die ungefähre Energieproduktion, die Gesamtkosten und die Dauer, um die Investitionskosten auszugleichen, berechnen.
Hole mehrere Offerten ein, vergleiche diese und wähle das beste Angebot aus.
Informiere die Behörden: Zwar braucht man nicht für jede Solaranlage eine Baubewilligung, aber sie müssen vor Baubeginn gemeldet werden.
Nimm Fördergelder in Anspruch. Auf www.energie-franken.ch findest du eine Übersicht über alle Fördermöglichkeiten nach Wohnort.
Nimm die Anlage in Betrieb.
Kein Lärm, kein Gestank
Einer, der sich über die technische Neuerung besonders freut, ist Senn Matthias. Er verbringt seit vielen Jahren seine Sommer auf verschiedenen Schweizer Alpen. "Der Lärm und der Gestank der Dieselgeneratoren haben mich aber mehr und mehr gestört", berichtet er. "Da ist die Solaranlage eine echte Alternative – zumal sie auch wirklich verlässlich funktioniert."
Sollte dennoch einmal eine Störung auftreten, ist diese dank Fernzugriff meist schnell behoben. Über Stromproduktion und Ladestand können sich Senn und Landwirt zudem ohnehin jederzeit per Smartphone-App informieren. Gerade für Landwirt Ming ist das praktisch, liegt die Alp Seefeld doch fast eine Autostunde von seinem Hof in Lungern entfernt.
Eine Frage der Konsequenz
Die Anlage ist aber nicht nur funktional, sondern für Beat Ming auch eine Frage der Konsequenz: "Meine Familie und ich betreiben seit über 25 Jahren Biolandwirtschaft. Trotzdem jedes Jahr etwa 500 Liter Diesel zu verfeuern – das geht für mich ökologisch nicht auf." Als Selbstvermarkter merkt er zudem, dass Fragen der Nachhaltigkeit auch bei den Kundinnen und Kunden eine immer grössere Rolle spielen. "Das hat sich zu einem zusätzlichen Verkaufsargument entwickelt. Dem gilt es Rechnung zu tragen."
Alpabzug mit Solaranlage
Vom wichtigsten Verkaufsargument, dem Geschmack, darf ich mich selbst überzeugen: Warm schmecke der Obwaldner Käse nämlich besonders gut. Beat Ming legt einen Viertellaib auf einen Stein direkt ans offene Feuer; er wartet, bis der Käse angeschmolzen und leicht gebräunt ist, und streicht ihn auf eine Scheibe Brot, das Sennerin Veronika gebacken hat. Köstlich! Bevor Beat Ming mich wieder zu Tal chauffiert, schauen wir noch kurz im Käsekeller vorbei. Alp- und Bratkäse leuchten gelb aus dem kühlen Halbdunkel. Die vollen Regale verraten es: Der Alpsommer neigt sich dem Ende zu. In wenigen Tagen wird die Sennerfamilie ihre Siebensachen zusammenpacken und mit den Kühen hinunter in die Voralp ziehen. Die Solararanlage – die kommt natürlich auch wieder mit.