Käsen mit Leidenschaft: Besuch beim Käseflüsterer
Käsen mit Leidenschaft: Besuch beim Käseflüsterer
Tropenluft im Toggenburg
Temperatur: rund 35 Grad. Luftfeuchtigkeit: gefühlte 100 Prozent. Ort: kein Regenwald, sondern die Käserei von Willi Schmid. Heute Morgen wird "Bergfichte" hergestellt. In pflotschnassen Shirts stehen Schmid und seine drei Mitarbeiter am Kessel und füllen die krümelige Käsemasse in hutgrosse Kunststoffbehälter. Dort tropft sie einige Minuten ab, bevor die frischen, noch weichen Laiber gewendet werden.
Mit Fichtenrinde umwickelt
Der nächste Arbeitsschritt gibt dem Käse "Bergfichte" seinen Namen – und ist gleichzeitig der Grund für das tropische Klima in der Städlichäsi Lichtensteig. Aus einem Kessel mit heissem Dampf holen die Käser breite Streifen von Fichtenrinde. Durch das Dämpfen sind sie elastisch geworden, sodass sich die Rinde satt um die jungen Käselaibe wickeln lässt. Das Fichtenholz wird mit einem Gummiband fixiert, dann wandern die Päckli in den Käsekeller. Dort darf sich das Aroma die nächsten sechs bis acht Wochen entfalten.
Jersey-Kühe: vom Ärmelkanal aufs Festland
Die "Bergfichte" ist eine von rund 30 Käsesorten, die Willi Schmid und sein Team herstellen. "Als kleiner Betrieb muss man andere Wege gehen als die grossen", sagt der Käser. "Sonst überlebt man nicht." Darum setzt er nicht auf Masse, sondern auf Klasse. Seine Spezialität: Käse aus der Milch von Jersey-Rindern. Die Rasse zählt zu den ältesten der Welt und stammt ursprünglich von der gleichnamigen englischen Kanalinsel. Mittlerweile sind die eher kleinen Tiere aber auch auf dem Festland verbreitet – unter anderem im Toggenburg.
Preisgekrönte Kreationen
Und so entsteht hier unter den fähigen Händen von Willi Schmid der Blauschimmelkäse "Jersey Blue", dessen Äusseres an einen Granitblock erinnert, während das Innere wie Marmor von blauen Adern durchzogen ist. Der "Jersey Blue" hat schon mehrmals den "World Jersey Cheese Award" gewonnen. Auch weitere Kreationen aus der Städtlichäsi sind preisgekrönt, etwa der "Mühlistein", ein Naturschimmelkäse mit Loch in der Mitte.
Das macht die Jersey-Milch so besonders:
Willi Schmid schwärmt von den Eigenschaften der Jersey-Milch:
- Sie ist gehaltvoller, das heisst, sie enthält mehr Fett und Eiweiss.
- Das Betakarotin in der Milch gibt dem Käseteig seine leicht orange Farbe – unverwechselbar.
Gewusst? Es gibt auch feine Glace aus Jersey-Milch.
Vom heissen Dampf zur kühlen Lagerstätte
"Mühlistein" und "Jersey Blue" reifen gerade in den Käsekellern der Städtlichäsi. Nach der schweisstreibenden Arbeit im heissen Dampf der "Bergfichte"-Produktion wäre ein Besuch in den kühlen Lagerstätten mehr als willkommen. Doch diesem Wunsch kann der Käser nicht erfüllen. Die Türen bleiben verschlossen. Willi Schmid muss sicherstellen, dass die Schimmelpilzsporen dort bleiben, wo sie hingehören. "Würden andere Käsesorten damit 'angesteckt', hätte das einen negativen Einfluss auf deren Geschmack und Aussehen. Als kleine Käserei können wir uns einen solchen Ausfall nicht leisten."
Hohe Anforderungen an den Rohstoff
In der Städtlichäsi zählt jeder Laib. Entsprechend genau schaut der Käser bei der Rohstoffbasis seines Handwerks hin. Die Milch verrät ihm alles: Welches Futter die Kühe fressen, wie das Klima im Stall ist, ja sogar ob die Tiere kürzlich gestresst waren. Etwa wegen der lästigen, aber wichtigen Klauenpflege, die sie regelmässig über sich ergehen lassen müssen.
Entsprechend hoch sind Willi Schmids Anforderungen an die Milch, die ihm die Bauern der Umgebung liefern. Er sagt: "Es kommt für mich nicht infrage, dass die Kühe im Stall mit Gras gefüttert werden, wenn sie genauso gut auf die Weide gebracht werden könnten." Klare Forderungen – aber für die regionalen Bauern, mit denen er zusammenarbeitet, sei das ohnehin keine Umstellung.
Im Herzen auch Landwirt
Willi Schmid weiss, wovon er spricht. Er ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. In Nesslau, etwas weiter hinten im Toggenburg. Die Landwirtschaft kennt er also von klein auf. "Ich weiss genau, was machbar ist und was nicht", sagt er. Am liebsten wäre er selber auch Bauer geworden. Doch weil sein Bruder den elterlichen Hof übernahm, wurde er Käser. Geblieben ist das tiefe Verständnis für den Kreislauf von Nährstoffen, Pflanzen und Tieren. Das trägt er nach wie vor im Herzen.
Das macht einen guten Käse aus.
"Der Käse beginnt am Bschüttiloch", sagt er mit einem Schmunzeln. Und meint damit: Wie die Weiden gedüngt werden, was dort wächst, was die Kühe fressen – all das beeinflusst Geschmack und Eigenschaften der Milch und damit auch seines Käses. Was macht einen guten Käse aus? "Voll im Aroma muss er sein, nachhaltig im Geschmack, mit einem kräftigen Abgang – ähnlich einem guten Wein", sagt Willi Schmid. Am liebsten mag er seinen "Bergmatter", einen Halbhartkäse mit Röstaromen und feinen Marronitönen.
Leidenschaft und Fantasie sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein Käser mitbringen muss.
Käsen braucht Leidenschaft und Fantasie.
Wenn Willi Schmid über seine Käsekreationen spricht, zieht sich ein Grinsen über sein Gesicht. Die Augen vergnügt zusammengekniffen, sieht man es ihm an: Mit Aromen, Temperaturen und Reifezeiten zu tüfteln, macht ihm Freude. "Leidenschaft und Fantasie", sagt er, "sind die wichtigsten Eigenschaften, die ein Käser mitbringen muss." Zudem muss er eine gute Beobachtungsgabe haben für all die Prozesse, die sich auf dem Weg zwischen Kessi und Käsekeller in der Milch abspielen.
Exklusive Sorten vom Käseflüsterer
Fast so etwas wie Käseflüsterer ist Willi Schmid in den gut 15 Jahren geworden, die er seine Städtlichäsi zusammen mit Ehefrau Bea führt. Das hat sich herumgesprochen: Spitzenköchinnen und -köche schwören auf seine Spezialitäten, ja haben sich von ihm auch schon exklusive Sorten kreieren lassen. Selbst Käse mit Schoggi hat Willi Schmid bereits hergestellt – für ein Schokoladenfestival in Deutschland.
Und obwohl er seinen Käse in die ganze Schweiz verkauft und über die Grenzen hinweg exportiert, ist Willi Schmid in seiner Heimat verwurzelt. Was ihm am Toggenburg besonders gefällt: "Jedes Dorf hat noch einen Beck, eine Chäsi und einen Metzger. Ich glaube, wir könnten uns eine Menge klangvolle Labels und Richtlinien sparen, wenn wir wieder vermehrt regionale Produkte konsumieren würden."