Die 10 milchigsten Wortmeiereien
Die 10 milchigsten Wortmeiereien
Milch-Begriffe geklärt
Die Milch machts – auch in unserem Vokabular. Es gibt diverse Wortschöpfungen in Verbindung mit der Flüssigkeit. Manche kennen wir gut, andere kaum. Hier die Swissmilk-Top-10. This Fetzer, Germanist und Redaktor beim Schweizerischen Idiotikon, erklärt, was die Begriffe bedeuten, woher sie kommen und wieso Milch in ihnen steckt.
1 Milchbüechlirächnig
Nichts klingt schweizerischer und tatsächlich ist die milchige Wortkombination hierzulande weitverbreitet. Was sie bedeutet, ist allerdings gar nicht so klar. Sprachwissenschaftler This Fetzer: "Im schweizerdeutschen Wörterbuch fehlt der Begriff." Zwei Verwendungen sind aber geläufig: Milchbüechlirächnig als übergenaue Rechnung, die jedoch wichtige Faktoren ausser Acht lässt. Oder als einfache Buchhaltung, die keine Ausbildung voraussetzt. Für die Übertragung herhalten muss das Milchbüechli, in dem die Leute früher ihre Schulden beim Milchmann aufschrieben.
2 Milchbubi
Ein unreifer Mann, ein Schwächling, eine Memme. "Milch ist in dem Fall sehr bildhaft; der Mann hängt noch an der Mutterbrust oder am Fläschchen", erklärt This Fetzer. Früher kannte man in der Schweiz vor allem den Milchbueb – Bubi kommt aus Deutschland. Trotzdem hat es sich bei uns durchgesetzt. Und zwar so sehr, dass sich das Wort auch in einem typisch schweizerischen Ausdruck findet: bubieifach.
3 Milchschnauz
Diese Schöpfung hat dieselbe Bedeutung wie Milchbubi oder bezeichnet einfach den Abdruck auf der Oberlippe nach dem Milchtrinken (Hochdeutsch: Milchbart). "Zudem nennt man den ersten Anflug eines Schnurrbarts Milchschnauz", weiss This Fetzer. "Hier steht Milch wieder für Mutterbrust und damit für kindlich – ein Motiv, das in vielen Milch-Wörtern vorkommt."
4 Milchstrasse
Wieso bitte steckt hier Milch drin? "Die griechische Göttin Hera soll beim Stillen ihres Sohnes Milch verspritzt haben", zitiert This Fetzer eine altgriechische Sage. Deshalb nannten die antiken Griechen den hellen Schimmer am Himmel auch Galaxías (Gála heisst auf Griechisch Milch). Strasse kam später im Lateinischen hinzu: Via Lactea. "Wohl, weil die Spur eine klare Richtung hat", vermutet Fetzer. "Deswegen interpretierte man den Streifen auch als Götterweg oder als Strasse zu einem Pilgerort." So nannten zum Beispiel die Emmentaler die Milchstrasse im 19. Jahrhundert Romstrasse.
5 Mondmilch
Schon mal gehört? This Fetzer hat es nachgeschlagen: "Eine weissliche, schaumartige Masse in den Klüften der Kalkalpen." Oder konkreter: milchige, kalkhaltige Mineralienablagerungen in Höhlen. "Diese wurden bis ins 19. Jahrhundert als Heilmittel verwendet, zum Beispiel gegen Kuheuter-Entzündungen." Genützt hat das zwar nichts. "Vor Einzug der Schulmedizin stellte man aber oft solche Schein-Zusammenhänge her", erklärt Fetzer. "Hier: Was milchig aussieht, muss auch für das Produktionsorgan von Milch gut sein." Zudem glaubte man, Mondmilch würde durch den Einfluss des Mondes entstehen. Na klar.
Dokumentator des Schweizerdeutschen
This Fetzer (44) aus Maienfeld hat Germanistik, Soziologie und Publizistik studiert. 2009 promovierte er an der Forschungsstelle für Namenkunde der Universität Bern. Seit 2018 ist er Redaktor beim Schweizerischen Idiotikon, dem schweizerdeutschen Wörterbuch. Dieses erscheint seit 1881 und enthält sämtliche Wörter, die aus literarischen Texten und Einsendungen zusammengetragen wurden und werden. Bis heute gibt es 16 Bände mit insgesamt 150'000 Begriffen und seit 2010 auch eine Online-Version des Wörterbuchs.
6 Sonnenmilch
Zugegeben: Hier muss man den Zusammenhang mit Milch nicht lange suchen – Sonnenmilch sieht eben aus wie Milch. "Optische Ähnlichkeit ist ein häufiger Grund, wieso etwas als Milch bezeichnet wird", erklärt This Fetzer. Das schweizerdeutsche Pendent für Sonnenmilch: Sonnencrème. Und dazu hat Fetzer eine schöne Geschichte auf Lager: "In einem Reiseführer für Spanien von 1966 steht, man solle Nähzeug, Schnur, Zipfelmütze, Taschenlampe, Kompass, Sonnencrème und Sicherheitsnadeln mitnehmen." Grossartig.
7 Schulmilch
Richtig: Milch, die man in der Schule trinkt. Seit 1977 gibt es im EU-Raum Schulmilch-Programme. Das Ziel: Den Konsum gesunder Milchprodukte bei Kindern und Jugendlichen fördern. Und auch in der Schweiz hat Schulmilch eine lange Tradition. "1933 bekamen Schweizer Schülerinnen und Schüler offenbar nicht nur Milchprodukte, sondern auch ein Milchbüechli zum Rechnen", zitiert This Fetzer einen alten Zeitungsbericht. Heute führt Swissmilk einmal jährlich den Tag der Pausenmilch an Schweizer Schulen durch.
Alles über den Tag der Pausenmilch
8 Wolfsmilch
Auch Esels-, Sau-, Katzen-, Teufels- oder Hexenmilch. Dabei geht es hier weder um Tier noch Fabelwesen, sondern um eine Pflanze. Genauer: um die Gattung Euphorbia, die (ähnlich wie Löwenzahn) einen milchigen Saft enthält. Natürlich kennt This Fetzer eine Sage dazu: "In Gadmen im Berner Oberland gaben Kühe dreimal statt zweimal pro Tag Milch, wenn sie mit Wolfsmilch gefüttert wurden", erzählt er. "Weil die Hirten dadurch aber übermütig wurden, verwandelten Erdmännchen das Futterkraut in Gift." Tatsächlich ist Wolfsmilch giftig.
9 Eier legende Wollmilchsau
Der Traum der Viehwirtschaft: Ein Nutztier, das Eier legt und dazu Milch und Wolle gibt. "Die Redewendung bezog sich ursprünglich wohl tatsächlich auf die Landwirtschaft", vermutet This Fetzer. Mittlerweile wird sie allerdings meist ironisch für eine Person verwendet, die so viele Fähigkeiten hat, dass es sie gar nicht geben kann. Fetzer: "In dieser übertragenen Bedeutung ist die Redensart sehr populär geworden."
10 Milchmädchenrechnung
Eine Rechnung, die auf Trugschlüssen basiert (siehe auch Milchbüechlirächnig). Anders als der Schweizer Ausdruck geht die deutsche Version wohl auf eine Fabel zurück: "Auf La laitière et le pot au lait des französischen Dichters Jean de la Fontaine", präzisiert This Fetzer. In dieser soll Lisettchen die Milch auf den Markt bringen. Auf dem Weg malt sich das Mädchen aus, was es mit dem Gewinn alles anstellen wird – bis es stolpert und die Milch ausleert. Quel malheur.
Käse und Ei
Nach der ganzen Milch nun noch etwas feste Nahrung: Je eine Wortschöpfung mit Käse und Ei als Supplement. Denn auch Wortkreationen mit diesen Agrarprodukten gibt es zahlreiche: Während Duden online rund 200 Milch-Begriffe ausspuckt, sind es ungefähr 90 mit Käse. Und über 80 Schöpfungen beginnen mit Eier-.
So ein Käse/Quark!
Käse (in Deutschland gleichbedeutend mit Quark) steht hier für etwas Minderwertiges. "Im 15. Jahrhundert war Käse billig und einfach herzustellen", erklärt This Fetzer den Ursprung dieser Verbindung. "Zwar handelte es sich dabei nicht um qualitativ hochwertigen Käse, aber fast jeder hatte Milch, die haltbar gemacht werden musste." Geschätzt habe man Käse aber trotzdem. "Das zeigen andere Redensarten aus derselben Zeit wie 'den Käse ohne Brot essen' – sich das Beste nehmen."
Eiertanz
In Nordholland tanzte man ihn zu Ostern, aber auch im Aargau oder im St. Galler Rheintal: den Eiertanz. Während die Tänzer hierzulande mit verbundenen Augen um rohe Eier herumschwoften, zogen sich die Holländer die Schuhe aus und beförderten die Eier mit den Füssen aus einem Kreidekreis. Das gemeinsame Ziel: Die Eier nicht zu zerbrechen. "Bildlich steht der Eiertanz für vorsichtiges Vorgehen in einer Situation, für die es viel Fingerspitzengefühl braucht", erklärt This Fetzer. Oder im Fall der Nordholländer: Fussspitzengefühl.
Do you speak milk?
Natürlich gibt es milchige Wortkreationen und Redensarten nicht nur auf Deutsch. Don’t cry over spilt milk, sagt man zum Beispiel im Englischen (nicht über vergossene Milch weinen). Milchzähne heissen auf Französisch ebenso: dents de lait. Und ein altes chinesisches Sprichwort lautet: Geduld – mit der Zeit wird aus Gras Milch.
Milch fürs Ohr
Abonnier den Swissmilk-Podcast auf Spotify, Apple Podcast oder Deezer.