Brennnessel, Bergkristall und Baldrian
Brennnessel, Bergkristall und Baldrian
Hofgeschichten
Heute sind wir zu Besuch auf dem Hof von Christian Zeller: Als Demeter-Landwirt achtet er ganz besonders auf das komplexe Zusammenspiel von Boden, Pflanzen, Tier und Mensch. Erfahre mehr zur Demeter-Landwirtschaft.
Kein Hokuspokus
Ich muss mich ducken, um die Kellertür zu passieren. Drei Stufen geht es hinab. Dort, im Halbdunkel, steht sie: "die Zauberkiste" – bin ich fast gewillt zu sagen. Aber mit dieser Bezeichnung wäre Christian Zeller nicht einverstanden. In der Kiste lagern die biodynamischen Präparate, die der Demeter-Landwirt auf seinem Hof im appenzellischen Speicher einsetzt. Und das, so betont er, sei kein Hokuspokus. Christian Zeller greift hinein, öffnet ein verkorktes Fläschchen und lässt mich daran riechen. Ich errate es nicht. "Baldrian", sagt er. In weiteren Schraubgläsern und Töpfen lagern Präparate aus Kuhmist, Bergkristall, Brennnessel und anderen Heilpflanzen. Christian Zeller bringt sie auf dem Feld aus, um den Boden fruchtbar und die Tiere gesund zu halten.
Sichtbares und Feinstoffliches
Bei einer Tasse Kaffee am langen Holztisch vor dem Hof erklärt Christian Zeller, was es mit der Demeter-Philosophie auf sich hat. Alles basiert auf der Vorstellung, dass Landwirtschaft ein Kreislauf ist, an dem Boden, Pflanzen, Mensch und Tier gleichsam beteiligt sind. "Einige Aspekte der Demeter-Landwirtschaft sind sichtbar – zum Beispiel, dass unsere Kühe Hörner tragen." Anderes wiederum erschliesst sich dem Auge – und teils auch der Wissenschaft – nicht: "Feinstoffliches", wie Christian Zeller sagt, das auf die Lehre des Anthroposophen Rudolf Steiner zurückgeht. Dazu gehören die Präparate, deren exakte Wirkung nicht einzeln belegt werden kann, oder der Bezug zum Kosmos und den Gestirnen, die beispielsweise den Zeitpunkt der Aussaat bestimmen.
Eine Philosophie kann noch so gut sein. Sie bringt mir als Bauer wenig, wenn ich meine Produkte nicht verkaufen kann.
Bio seit den 1990ern
Der Pachthof mitten im Dorfkern von Speicher wird seit über 50 Jahren von der Familie Zeller bewirtschaftet. Schon in den frühen 90er-Jahren stellte sein Vater auf Bio um. Und kurz nachdem Christian Zeller 2007 den Hof selber übernahm, begann er sich Gedanken darüber zu machen, wie er die Ansätze der Biolandwirtschaft weiterentwickeln könnte. "Wir wollten eine Betriebsform finden, die für uns stimmt, für die Umwelt und die Tiere", erzählt Christian Zeller. Er fand sie in der Demeter-Landwirtschaft. "Den letzten Anstoss zur Umstellung gaben dann unter anderem auch ökonomische Gründe: Unsere Molkerei suchte explizit Demeter-Milch", sagt er. Das war wichtig, denn: "Eine Philosophie kann noch so gut sein. Sie bringt mir als Bauer wenig, wenn ich meine Produkte nicht verkaufen kann."
"Feed no food"
Dass sich insbesondere Milch, aber auch Fleisch vom Zellerhof sehr gut verkaufen, merke ich schnell. Im kleinen Hoflädeli herrscht den ganzen Vormittag über reger Betrieb. Praktisch jeden, der einkauft, grüsst Christian Zeller mit Namen. Er schätzt die positiven Rückmeldungen seiner Kunden. Denn Qualität liegt ihm am Herzen. Seine Produkte sind zu 100 Prozent grasbasiert, was heisst: Die Kühe fressen nur Gras, Grassilage, Dürrfutter und ein wenig Graspellets. "Feed no food" nennt der Bauer das. Im Futtertrog soll nichts landen, was auch der Mensch als Nahrung nutzen könnte. "Das entspricht einerseits dem Wesen der Tiere", so Christian Zeller. "Andererseits macht es für unseren Standort auch am meisten Sinn: Auf rund 1000 Metern über Meer wächst Gras halt einfach am besten." Dieses Gras zu Milch und Fleisch zu veredeln – darin sieht Christian Zeller seine Herausforderung.
Auf der Sommerweide
Die meisten seiner Kühe verbringen die warmen Monate sogar noch etwas weiter oben, auf der Sommerweide, zwei Kilometer vom Hof entfernt. Zweimal täglich fährt Christian Zeller hoch, um melken zu gehen. Heute noch ein drittes Mal, um mir Weide und Tiere zu zeigen. Die Herde besteht hauptsächlich aus Braunvieh; zwischen viel silberbraunem Fell blitzen aber auch die rötlichen Flecken von Leona hervor – der Kuh, die das Ehepaar Zeller als Hochzeitsgeschenk erhalten hat. Und dann ist da noch der kräftige Muni Jim, der mir trotz seines jungen Alters schon ziemlich Respekt einflösst.
Harmonie in der Herde
Muni Jim ist auf dem Hof, um – wie Christian Zeller es ausdrückt – "seinen Job zu erledigen". Das heisst, um Kälber zu zeugen. Daneben sorgt er für Hierarchie und Harmonie in der Herde. Ein Muni berge allerdings immer auch ein gewisses Risiko, sagt der Bauer, denn die Stimmung könne rasch ins Unberechenbare kippen. "Darum kommen unsere Munis entweder aus eigener Zucht oder sehr jung auf unseren Hof. Sie bleiben dann rund zwei Jahre bei uns, in dieser Zeit geht es in der Regel gut." Dass das nicht auf jedem Hof möglich sei, ist Christian Zeller bewusst. Es bringe Aufwand mit sich: Wanderwege beispielsweise, die durch das Weideland führen, müssten aus Sicherheitsgründen durch Zäune abgetrennt werden.
Ein Zuhause für Insekten
Neben Tieren zeigt mir Christian Zeller schliesslich noch etwas anderes: die Ausgleichsflächen. "14 Prozent unserer Betriebsfläche dienen der Artenvielfalt", sagt er. Dort wachsen verschiedene Gräser und Kräuter – Schafgarbe, wilder Kümmel und aromatischer Thymian zum Beispiel. Die Ausgleichsflächen bieten einer Vielzahl von Insekten ein Zuhause, nicht nur hier oben auf der Sommerweide, sondern auch weiter unten, wo die Obstbäume des Zellerhofs stehen. Die Insekten revanchieren sich, indem sie die Blüten bestäuben. Aus den Äpfeln, die dadurch wachsen können, gewinnt Christian Zeller unter anderem Essig. Und den wiederum setzt er ein, um das Immunsystem seiner Tiere zu stärken. Langsam beginne ich, das mit dem Kreislauf zu verstehen.
Von grünen Matten und effizientem Klee
Der Speiseplan einer Milchkuh