So werden Schweizer Pilze nachhaltig gezüchtet.
So werden Schweizer Pilze nachhaltig gezüchtet.
Industriegebiet statt Bauernhof
Ich folgte meinem Navi. Etwas naiv hatte ich erwartet, auf einem typischen Bauernhof inmitten von Feldern anzukommen. Aber nein, meine Fahrt endet im Industriegebiet von Cornaux im Kanton Neuchâtel. Genau hier haben Valérie Opplinger und ihr Lebensgefährte Julien Nicolas ihren Pilzanbaubetrieb. Eine Entscheidung, die auf den ersten Blick überrascht, die aber vollkommen im Sinne der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft ist.
Nachhaltiger Anbau in der Halle
Julien und Valérie empfangen mich freudestrahlend. Vor allem Valérie war treibende Kraft der ganzen Pilzzuchtidee: Während der Corona-Pandemie entschloss sie sich, die Welt der Luxusuhren gegen Pilze zu tauschen. Und Agraringenieur Julien liess sich schnell begeistern von der Idee. Ihre gemeinsame Leidenschaft für eine nachhaltige Ernährung brachte sie schliesslich dazu, sich mit "Un amour de Pleurote" in ein ungewöhnliches landwirtschaftliches Abenteuer zu stürzen, weit weg von der ländlichen Idylle. So ungewöhnlich, dass die administrativen Herausforderungen nicht lange auf sich warten liessen. Valérie bedauert: "Tatsächlich werden wir verwaltungstechnisch nicht als landwirtschaftlicher Betrieb angesehen, weil unsere Bodenfläche nicht gross genug ist." Überraschend auf den ersten Blick, vor allem, weil hinter uns die Mitarbeiter:innen damit beschäftigt sind, zahlreiche Substrate zu entladen, die ein LKW anliefert. Es sieht nicht gerade nach wenig aus. Das ist die perfekte Gelegenheit, um in das Herz des einzigartigen Zuchtprozesses einzutauchen.
Drei Sorten, drei Werte
Bei "Un amour de Pleurote" teilen sich drei Sorten die Anbauräume: Kräuterseitling, Austernpilze und Shiitake. Warum gerade diese Pilze? "Es handelt sich um Pilze, die bei den Verbrauchern und Verbraucherinnen beliebt sind, die aber in der Romandie nicht produziert wurden, als wir angefangen haben." Drei Arten für drei Werte, die das kleine Unternehmen verkörpert: Bio-Produktion, 100% Schweizer Substrate und lokale Wirtschaft mit fairen Partnerinnen und Partnern.
Pilzzucht im Treuhandbüro
Ein Blick in den Keller genügt, um die oben erwähnte administrative Schwierigkeit zu verstehen: Die Pilze wachsen vertikal in Gestellen auf sieben Ebenen. So sollen Platz und Ressourcen optimiert werden. Diese Ressourceneinsparung ist zwar ein Problem für die Verwaltung, doch aus ökologischer Sicht ist sie erfreulich. "Das Gebäude ist nicht sehr sexy", räumt die Unternehmerin ein. "Es handelt sich um ein ehemaliges Treuhandbüro, das wir mit Wärmepumpen und Luftbefeuchtern ausgestattet haben. Die gesamte Produktion verbraucht das elektrische Äquivalent von zwei Wohnungen und ein ganz klein wenig Wasser."
100%ige Kreislaufwirtschaft
Alles auf dem Betrieb ist auf Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit ausgelegt. "Eigentlich haben wir nur zwei Arten von Abfall: die Plastikfilter der Substrate und die Kaffeekapseln. Aber wir sind gerade dabei, das System für unseren Kaffee zu ändern." Bei den Filtern arbeiten die Hersteller:innen an neuen, umweltfreundlicheren Systemen. "Und die verwendeten Substrate sind sehr beliebt, sie sind ein supernatürlicher Dünger für andere Pflanzenkulturen. Wir sind zu 100% biologisch und unsere Anlagen sollen 30 bis 40 Jahre halten."
Auch Pilze mögen Massagen.
Sorgfältigkeit sei besonders wichtig bei der Pilzzucht, erklärt mir Valérie weiter: "Sie können auf alten Schuhen wachsen, aber wenn sie mit einem schlechten Bakterium in Berührung kommen, kann die ganze Ernte innerhalb weniger Stunden verloren gehen. Sie sind sehr empfindlich."
Die Landwirtin erklärt mir die Etappen der Pilzzucht so:
- Organische Substrate aus 100% Schweizer Holz- und Getreideabfällen werden mit dem Mycel der entsprechenden Art geimpft und dann an "Un amour de Pleurote" geliefert. "Kurze Wege sind wichtig. Wenn die Substrate zu stark geschüttelt werden, stresst das das Myzelium*.
- Bevor die Substrate Pilze produzieren können, müssen sie sich ausruhen. Man muss die Substrate also in einer feuchten Umgebung, z. B. im Keller, bei einer optimalen Temperatur ruhen lassen." Sie versichert uns: "Wenn man das Substrat ein wenig sanft massiert, entwickelt es sich besser. Wir haben das getestet."
- Wenn sich die Myzelien "beruhigt" haben, wird die Plastikfolie, die die Substrate umgibt, eingeschnitten, damit das Substrat mit Sauerstoff versorgt wird und die Pilze wachsen können. "In der Natur wäre das der Übergang von Unterholz zu Holz."
- In einem Raum mit konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit können die Pilze dann in ihrem eigenen Tempo wachsen.
- Anschliessend werden die Pilze geerntet und direkt an Restaurants, Gemüsebäuerinnen und -bauern oder Grosshändler:innen verkauft. Ein Teil wird getrocknet.
- Nach der Ernte wird das Substrat als Dünger verwendet und das restliche Plastik wird recycelt.
*Myzelium (Plural: Myzelien) bezeichnet die fadenförmigen Zellen (Hyphen) des Pilzes. Die einzelnen Hyphen sind meistens nur unter dem Mikroskop zu erkennen.
Kleine Pilzkunde
Austernpilz (Pleurotus ostreatus)
- Feste Textur, zarter Geschmack, der leicht an Anis erinnert.
- Proteine, B-Vitamine, Mineralien (Eisen, Selen), Ballaststoffe.
Kräuterseitling (Pleurotus eryngii)
- Knackige Textur, milder und dezent süsser Geschmack.
- Proteinquelle, Antioxidantien, Vitamin B, Vitamin C, Kalium.
Shiitake (Lentinula edodes)
- Reichhaltiger, holziger Geschmack, fleischige Textur, reich an Umami.
- Vitamin D, Vitamin B, Mineralien (Selen, Kalium), Ballaststoffe, immunstimulierende Eigenschaften.
Vom Grill oder in Essig
Valérie greift sich einen stattlichen Kräuterseitling und ein ganz kleines Exemplar, das sie gerade geschnitten hat. "Kräuterseitlinge sind vor allem im Sommer beliebt. Die Leute lieben sie in Scheiben geschnitten vom Grill." Und ihre Lieblingsmethode für die Zubereitung: "Die Füsse einschneiden, mit Butter einreiben und ab in die Pfanne." Und die kleineren Kräuterseitlinge kann man in Essig einlegen, wie Essiggurken. "Das ist superfein" (Anm. d. Red.: Nach dem Besuch bei Valérie und Julien habe ich das mit dem Einlegen nach diesem Rezept probiert. Sehr empfehlenswert).
Beliebter Shiitake
"Shiitake ist unglaublich! Er hat so viel Geschmack." Man spürt Valéries Begeisterung für den kleinen asiatischen Pilz. Shiitake ist mittlerweile der zweithäufigste Pilz der Welt, nach dem Champignon. Valérie hört manchmal von ihren Kundinnen und Kunden, dass frische Shiitake-Pilze von ihrem Substrat – im Gegensatz zu denen aus dem Handel – gut und prall aussähen. Hier dürfe man sich nicht von der Optik täuschen lassen, so Valérie: "Das ist ganz normal. Der Shiitake sieht nicht mehr so schön aus, wenn er etwas austrocknet, aber er ist immer noch sehr gut." Und sie weist uns noch darauf hin, dass Shiitake-Pilze besser schmecken, wenn sie getrocknet und dann wieder rehydriert werden. Das merke ich mir, wenn ich das nächste Mal getrocknete Shiitake im Supermarkt sehe.
Für mehr Abwechslung im Fondue Chinoise
Und wo wir gerade beim Thema Geschmack sind, fährt Valérie fort: "Für ein abwechslungsreicheres Fondue Chinoise kann man auch Pilze in den Topf tunken, genau wie Fleisch. Austernseitlinge, Kräuterseitlinge und Shiitake haben eine so unterschiedliche Textur und einen so unterschiedlichen Geschmack, dass es eine gute Abwechslung ist." Auch das kommt auf meine Merkliste. Mit selbst gemachten Saucen ist das bestimmt ein Genuss.
Vegi-Fondue-Chinoise – Zutaten & feine Saucenideen
- 30min
- Vegetarisch
Auch im Direktverkauf
Valérie und Julien beliefern nicht nur zahlreiche Restaurants und Geschäfte in der Region, sondern verkaufen ihre Produkte – wie viele andere landwirtschaftliche Betriebe auch – direkt und über ihren Onlineshop.
Jetzt musst du nur noch eins der feinen Swissmilk-Rezepte auswählen, um die kulinarischen Schätze zuzubereiten. Das Beste: Schweizer Pilze haben – wie Schweizer Milch und Milchprodukte – das ganze Jahr über Saison.