Selbstversorgung: Produzieren, was wir konsumieren
Selbstversorgung: Produzieren, was wir konsumieren
Wunderwaffe der Permakultur
Dicke Stängel, mittelgrosse, behaarte Blätter, grün und etwa wadenhoch. Das Kraut sieht aus, wie ein Kraut halt aussieht: relativ unspektakulär. Doch Tobias Messmer weiss, dass es sich um eine wahre Wunderwaffe handelt. "Beinwell ist so etwas wie die heilige Pflanze der Permakultur", sagt der Forscher. "Sie wurzelt tief und fördert wertvolle Nährstoffe an die Oberfläche, sie wächst schnell, lockt Bestäuber an und beschattet den Boden." Man kann sie als Heilpflanze nutzen, als Grundlage für Pflanzenjauche – und essen kann man sie auch. Was Pflanzen können, wie sie aufeinander, auf den Boden und die Tierwelt einwirken – darum geht es in der Permakultur.
Kurz und knapp: Was ist Permakultur?
Permakultur ist ein Konzept für Landwirtschaft und Gartenbau, das darauf basiert, Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur zu beobachten und nachzuahmen. Das Konzept wurde in den 70er-Jahren in Australien entwickelt. Typisch für Permakultur sind unter anderem kleinräumige Landnutzung, unterschiedlich intensiv bewirtschaftete Zonen, grosse ökologische und biologische Vielfalt und multifunktionale Elemente. Zum Beispiel: Eine Kuh liefert nicht nur Milch, sondern mäht und düngt auch die Weide.
Gegenentwurf zur Monokultur
Permakultur ist der Gegenentwurf zur industriell bewirtschafteten Monokultur: Nicht die schnelle Ertragsmaximierung steht im Zentrum, sondern die Schaffung eines nachhaltig funktionierenden, sich selbst tragenden (Agrar-)Ökosystems. Tobias Messmer erforscht das Prinzip an der HAFL, der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften in Zollikofen bei Bern. Dazu hat er auf dem Campus zusammen mit einem interdisziplinären Team einen Permakultur-Lehrgarten angelegt. Dort werden Aspekte wie Bodenqualität, Biodiversität, aber auch Flächenertrag und Kosten untersucht.
Wir sprechen lieber von Beikraut als von Unkraut.
Vom Küchengarten bis zur Wildnis
Den Garten durchzieht ein gewundener Weg – der barrierefreie Zugang zum Unterrichtsgebäude nebenan. Praktischer Nebeneffekt: Der Pfad unterteilt den Garten in mehrere Abschnitte. "Damit symbolisieren wir die verschiedenen Zonen der Permakultur", erklärt Tobias Messmer. Die Zonen sollen eine effiziente Bewirtschaftung ermöglichen. Sprich: Was viel Arbeit macht, liegt so nahe wie möglich am Haus. Das beginnt mit dem pflegeintensiven Küchengarten, geht vom Gemüsegarten über den Getreidebau bis zum Weideland, die immer weniger Zuwendung brauchen. Zum Schluss folgt die Wildniszone. Hier wächst alles, wie es will.
Tierische Gartenhelfer
Umzäunt ist der Garten nicht. Ein Heckenbogen schützt ihn vor Wind und speichert als "Sonnenfalle" die Wärme. Kein Hindernis für den Rehbock aus dem nahegelegenen Wald, der ab und zu vorbeischaut, sein Geweih an jungen Zweigen reibt und ein paar Erdbeeren stibitzt. Tobias Messmer nimmt es gelassen – betont aber auch, dass ihm andere tierische Gartenhelfer lieber sind. Bienen zum Beispiel, die an diesem sonnigen Frühlingsnachmittag im ganzen Garten herumsummen. Wiesel zur Prävention von Mausplagen. Oder Regenwürmer, die den Boden auflockern. Um sie und das komplexe Schichtsystem unterirdischer Lebensräume zu schonen, wird die Erde im Garten nicht umgegraben.
Beikraut statt Unkraut
Der Mythos, dass bei der Permakultur einfach alles sich selbst überlassen wird, stimmt aber nicht. "Natürlich muss man die Gärten pflegen. Auch wenn wir lieber von Beikraut als von Unkraut sprechen: Pflanzen, die sich ungebremst ausbreiten und andere verdrängen, reissen wir natürlich aus", sagt Tobias Messmer. Sie werden entweder vor Ort als Mulch liegen gelassen oder kompostiert.
Bei der Auswahl der Feldfrüchte wird berücksichtigt, was sich womit verträgt. "Die 'drei Schwestern' zum Beispiel harmonieren hervorragend: Mais, Bohnen und Kürbis." Der Mais dient den Bohnen als Kletterhilfe, die Bohnen versorgen den Boden mit Stickstoff, die grossen Kürbisblätter spenden Schatten und halten die Erde feucht. Hinzu kommen Überlegungen zur Fruchtfolge: Auf dem Acker wechseln sich beispielweise Getreide und Hülsenfrüchte ab, damit der Boden nicht ausgezehrt wird.
Bohnen & Mais: Freunde auf dem Feld und im Topf
- 1h10min
- Vegetarisch
Mulch fördert Humusaufbau
Die Permakultur-Forschenden an der HAFL untersuchen verschiedene weitere Möglichkeiten, um den Ertrag auf eher magerem Boden zu optimieren. Kunstdünger wird nicht eingesetzt, sondern nur, was der Garten selber hergibt: zum Beispiel Mulch – ein organischer Bodenbelag aus Gras oder anderen Pflanzenmaterialien. Das ist das Forschungsgebiet von Liv Kellermann. Zusammen mit Tobias Messmer leitet sie das Projekt Permakultur-Lehrgarten. Zu einem echten "Mulch-Fan" sei sie im Laufe ihrer Untersuchungen geworden, sagt sie. "In der Tendenz hat sich nämlich gezeigt: Mulch kann den Humusaufbau fördern, den Nährstoffgehalt im Boden steigern und sich positiv auf die Vielfalt an Bodenlebewesen auswirken."
Vielversprechende Forschungsresultate
Zwar sind die Forschungsergebnisse mit Vorsicht zu geniessen: Erstens basieren sie auf einer relativ schmalen Datengrundlage, zweitens können positive Effekte in einem so komplexen System nicht zweifelsfrei auf bloss einen Einflussfaktor zurückgeführt werden. Trotzdem freut sich Liv Kellermann über die vielversprechenden Resultate. Entscheidend sei nun, woher das Mulchmaterial – also zum Beispiel Holzschnitzel, Stroh oder Grasschnitt – komme. "Wenn dafür externe Flächen genutzt werden, ist das nicht besonders nachhaltig. Aber wenn Pflanzenmaterial aus der Permakultur-Fläche selbst verwendet wird, dann sind wir schon nahe an einem System, das sich selber mit Nährstoffen versorgt."
Wenn Permakultur so einfach skalierbar wäre, hätte man es schon längst gemacht.
Widerstandskraft bei Wetterextremen
Neben der Bodenqualität haben Mulch und andere Permakultur-Prinzipien noch einen weiteren gewichtigen Vorteil: Widerstandskraft im Hinblick auf den globalen Klimawandel und extreme Wetterereignisse. "Mit Mulch bedeckt, bleibt der Boden länger feucht – beispielweise bei anhaltender Trockenheit. Zudem schützt die Schicht vor Temperaturextremen", erklärt Liv Kellermann. Und die in der Permakultur vorgesehene Mischkultur mindert die Folgen von klima- oder krankheitsbedingten Ernteausfällen, wie die Forscherin weiss: "Selbst wenn eine Sorte wegen starker Niederschläge oder Schädlingsbefall eingeht, haben wir bestenfalls zwei, drei andere, die trotzdem gedeihen."
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Selbstversorgung im Kleinen
Ist Permakultur also eine gute Möglichkeit, um die Selbstversorgung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene zu stärken? "Im Kleinen funktioniert es sehr gut", sagt Tobias Messmer. "Es gibt zahlreiche Beispiele von Selbstversorgern, die auf die Prinzipien der Permakultur setzen." Und im Grossen? Liv Kellermann wägt ab: "Wenn Permakultur so einfach skalierbar wäre, hätte man es schon längst gemacht." Es sei utopisch zu denken, dass jede Ackerfläche in der Schweiz in Permakultur umgewandelt werden könne –nur schon, weil Permakultur in vielen Fällen arbeitsintensiv sei und damit gerade in der Schweiz entsprechend teuer.
Permakultur als Inspirationsquelle
Aber es gibt Möglichkeiten, wie sich die konventionelle Landwirtschaft von der Permakultur inspirieren lassen kann. Liv Kellermann: "Wo sich das von den strukturellen Gegebenheiten her umsetzen lässt, könnte man zum Beispiel auf Monokulturen verzichten und stattdessen die verfügbare Fläche in Streifen aufteilen. Und dann Streifen für Streifen verschiedene Pflanzen anbauen." Die Kombination aus Ackerfläche und Bäumen, sogenannter Agroforst, hat einen ähnlichen Effekt. Auch mehr überbetriebliche Zusammenarbeit in der Landwirtschaft würde dabei helfen, für mehr Vielfalt und Resilienz zu sorgen. So liesse sich die Effizienz maschineller Landbearbeitung mit den Vorteilen der Permakultur verbinden.
Selbstversorgung Schweiz
Schon gewusst? Den höchsten Selbstversorgungsgrad (SVG) weist die Schweiz bei Milch und Milchprodukten auf, wo regelmässig mehr als 100 Prozent des inländischen Bedarfs produziert werden. Den geringsten SVG weisen die pflanzlichen Öle und Fette mit einem knappen Viertel auf.