MuKa: wenn die Kälbli bei ihren Müttern aufwachsen

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MuKa: wenn die Kälbli bei ihren Müttern aufwachsen

Seit Kurzem ist die muttergebundene Kälberaufzucht, kurz MuKa, in der Milchproduktion in der Schweiz erlaubt. Landwirt Roman Gmür hat umgestellt. Er erklärt, warum seine Kälber jetzt gesünder sind, spricht aber auch über die grosse Herausforderung von MuKa.

Die Rasselbande

Es regnet wie aus Kübeln. Josy, vorwitziger Blick, tiefbraunes Fell, vier Wochen alt, macht sich nichts draus. Munter, aber auf noch etwas steifen Beinen, trabt das Kälbli über die Weide. Hinter ihr Nino und ein paar andere der Rasselbande. Milchkuh Joya gesellt sich zu uns, lässt sich streicheln. Das Kälbli-Gespann behält sie aber im Auge, vor allem Tochter Josy.

Seit 2020 erlaubt

Auf dem Hof "Ro-Sa" am oberen Ende des Zürichsees wachsen Kälber bei ihren Müttern auf. In der Milchproduktion ist diese Haltung erst seit 2020 erlaubt. Vorher schrieb das Gesetz den Landwirtinnen und Landwirten vor, "das ganze Gemelk" zu verkaufen. In der Praxis wurde das so interpretiert, dass die Milch einer Kuh, die ihr Kalb säugt, nicht mehr verkauft werden durfte. Durch die Intensität ihres Saugens erhalten die Kälber nämlich die besonders fettreiche Milch direkt aus den Milchdrüsen der Kühe. Der Fettgehalt der gemolkenen Milch kann sich dadurch reduzieren – womit ein Teil der Milch fehlt.

Ein Weide-Idyll / Josy (links) und ein anderes Kälbli
Ein Weide-Idyll / Josy (links) und ein anderes Kälbli

MuKa: wichtige Vor- und Nachteile

Vorteile:

  • Die Haltungsform ermöglicht Kuh und Kalb ein natürliches Verhalten.
  • Kälber, die in engem Kontakt mit ihrer Mutter aufwachsen, nehmen schneller zu, bekommen früher ihr erstes Kalb und geben in ihrer ersten Milchperiode mehr Milch.
  • Die Kälber besaugen sich kaum mehr gegenseitig und zeigen ein besseres Sozialverhalten.

Nachteile:

  • Die Kälber haben weniger Bezug zu Menschen und fühlen sich von ihnen womöglich gestresst.
  • Kühe, die bei ihrer Mutter aufgewachsen sind, haben oft längere Pausen zwischen ihren Geburten.
  • Es kann zu Zitzenhautverletzungen kommen, wenn mehrere Kälber an einer Kuh saugen.

Quelle: Agridea

Bauer Roman wird entlastet

Im Sommer 2020 änderte sich das Gesetz – und Landwirt Roman Gmür stellte auf muttergebundene Kälberaufzucht, kurz "MuKa", um. Der Unterschied zur Mutterkuhhaltung in der Fleischproduktion: Die Kühe säugen ihre Kälber zwar, werden aber weiterhin gemolken. Mindestens drei Monate bleiben die Kälbli bei ihren Müttern, auf dem St. Galler Biohof "Ro-Sa" vier bis sechs. "Das entlastet mich arbeitstechnisch stark", sagt Roman. Schliesslich war er es vorher, der die Kälbli mit der Flasche aufzog. Jetzt reicht es, die Tiere regelmässig zu beobachten. "Vor allem am Anfang ist das wichtig. Denn es kommt vor, dass eine Kuh ihr Kalb nicht annimmt oder das Kalb Probleme mit Saugen hat." Dann muss Roman eingreifen.

Stärkere Abwehr durch Muttermilch

MuKa verringert aber nicht nur den Arbeitsaufwand. "Meine Kälber sind gesünder als früher", sagt Roman. Ein wichtiger Grund ist die Muttermilch. Kälber kommen ohne Immunabwehr zur Welt. Indem sie bei MuKa mindestens drei Monate lang Muttermilch trinken – länger als bei der Flaschenaufzucht – , wird ihre Immunabwehr gestärkt. "Vor MuKa war der Antibiotikaeinsatz manchmal hoch", sagt Roman. Der Landwirt hielt seine Kälber zusammen in einer Gruppe. "Hatte ein Tier Durchfall oder Lungenentzündung, steckten sich alle an." Heute braucht Roman nur noch in Ausnahmefällen Medikamente.

Mutter Nina und Sohn Nino

Mutter Nina und Sohn Nino

Meine Kälber sind gesünder als früher.

Roman Gmür, Landwirt

Eine Herzenssache

Der Regen stürzt weiterhin in Bindfäden vom Himmel, Roman treibt seine Kuhherde von der Weide in den Stall: 22 Kühe, sechs Kälbli im Alter zwischen zwei und sechs Wochen. Im Trockenen schmiegt sich Nino eng an Mutter Nina. Diese fährt ihm mit ihrer Zunge über den Kopf. "Auch Zuwendung stärkt die Gesundheit", sagt Roman. Umgekehrt führe der Stress einer frühen Trennung dazu, dass die Kälber, aber auch die Kühe krankheitsanfällig werden oder Verhaltensauffälligkeiten entwickeln können.

Kälbergerechter Stall

MuKa lässt sich aber nicht auf jedem Hof so einfach umsetzen. Oft müssen die Landwirtinnen und Landwirte im Stall erst Platz für die Kälber schaffen oder Unfallgefahren beseitigen. Auf dem Hof "Ro-Sa" war die Infrastruktur von Anfang an auf Jungtiere ausgelegt. "Wir produzieren ja auch Kalbfleisch und setzen dort seit Jahren auf Mutterkuhhaltung", erklärt Roman. So sind etwa die Anti-Ausrutsch-Rillen auf dem betonierten Laufhof vor dem Stall schmal genug, dass sich die Kälber nicht verletzen können. Einzig die "Kinderabteilung", früher das abgetrennte Abteil für die Kälbli, brauchte eine leichte Anpassung. Roman: "Heute ist dieses Abteil der freiwillige Rückzugsort für die Kälber. Damit sie 24 Stunden Zugang zu ihren Müttern haben, brauchte es eine Verbindung zum Hauptstall."

Gute Stimmung im Laufstall
Gute Stimmung im Laufstall

Hof "Ro-Sa"

Mit Unterstützung seiner Frau Sabine führt Roman Gmür den Hof "Ro-Sa" im St. Gallischen Gommiswald. Das Paar hat den Hof 2008 von Romans Eltern übernommen und den Stall bald mit bequemen Strohbetten für die Kühe ausgestattet. Weitere Entwicklungsschritte folgten: mehr Platz für die Kälber, grössere Futterstellen, ein zusätzliches Fenster für mehr Luft und Licht. 2011 bauten die Gmürs schliesslich einen Laufstall. 2016 stellten sie ihren Betrieb auf Bio um.

Die Gmürs produzieren Milch, Kalbfleisch, Dinkel und Obst. Ebenfalls zum Hof gehören die Töchter Mona und Linda sowie ihre zwei Ziegen Dembeli und Neyla. Auf dem Spaziergang mit den Mädchen gehen sie bei Fuss.

Die MuKa-Mythen

Mit MuKa stärkt Roman das Wohl und die Gesundheit seiner Tiere. "Dabei bleibt die Milchqualität vollkommen gleich." Euterentzündungen, die durch das Säugen auftreten und die Qualität der Milch beeinträchtigen könnten, beobachtet Roman keine. "Ebenso wenig sehe ich, dass die Kälber beim Trinken die Zitzen kaputtmachen – das hat die Natur schon gut eingerichtet."

Circa 30 Prozent weniger Milch

Eine grosse Tücke hat MuKa aber doch: "Circa 30 Prozent der Milch gehen an die Kälber – diese können wir nun weniger verkaufen." Um das zu kompensieren, hat Roman begonnen, auf seinem Hof auch Dinkel anzubauen. Zudem empfängt er Direkthilfe vom Förderverein Mutter-Kalb-Haltung. Und: Seine Frau Sabine hat das Projekt "Herzkuh" ins Leben gerufen. "Dabei können Leute für einen Franken pro Tag eine Kuhpatenschaft übernehmen", erklärt Roman. Zum Beispiel für die kleine Josy. Diese beobachtet gerade aufmerksam, wie wir Schreibblock und Kamera zusammenpacken. Dann macht das Kälbli eine wilde Wende, wirft sein Hinterteil spielerisch in die Höhe und stiebt davon. Auf zu neuen Abenteuern.

 

 

Hier gibt es MuKa-Milch

Noch gibt es für Milch aus MuKa-Haltung kein eigenes Label. Die Milch im Laden gezielt zu kaufen, ist also schwierig. Die Fachstelle MuKa hat auf ihrer Website aber eine Liste mit Verkaufsstellen publiziert. Und das Label Cowpassion produziert und vertreibt Käse aus MuKa-Milch.