Solidarische Landwirtschaft: Milch ohne Umwege
Solidarische Landwirtschaft: Milch ohne Umwege
"Im Basi" ist Mithelfen angesagt
Mali steht im Stall und kaut ein Büschel Heu. Es ist kurz nach acht; Zmorge-Zeit auf dem Hof "Im Basi" in der Zürcher Gemeinde Dietikon. Die Kuh der Rasse "Original Braunvieh" lebt zusammen mit gut 20 Artgenossinnen auf dem Betrieb von Anita Triaca und Fabian Brandenberger. Rund 145'000 Liter Milch geben Mali und ihre Kolleginnen jährlich. Und die Menschen, die diese Milch trinken, kennen die "Produzentinnen" persönlich. Denn mehrmals im Jahr ist für die Kundinnen und Kunden Mithelfen angesagt – "solidarische Landwirtschaft" nennt sich das, kurz SoLawi.
Hygiene wird grossgeschrieben
Heute ist Jessica Rüegger aus der Stadt Zürich angereist, um ihren rund dreistündigen Dienst anzutreten. Auf dem Programm steht Milchabfüllen. Hofchefin Anita Triaca zeigt, wies geht. Die Zürcher Ärztin war zwar schon öfters hier, hört aber trotzdem gut zu. Denn der hygienische Umgang mit den Geräten ist bei der Arbeit mit Milchprodukten superwichtig. "Ich finde es megalässig, dass man hier auch als Stadtmensch einen Bezug hat zum Ort, wo die Lebensmittel herkommen", sagt Jessica Rüegger.
Ich finde es megalässig, dass man hier auch als Stadtmensch einen Bezug hat zum Ort, wo die Lebensmittel herkommen.
Aus einem grossen Tank füllt sie die Milch durch einen dünnen Metallhahn in eine Glasflasche, schraubt den Deckel zu und klebt eine Etikette mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum auf die Flasche. Dann deponiert sie die Flasche in der Kiste mit der Aufschrift "Kalkbreite". Dort, mitten in der Stadt Zürich, befindet sich eines der 17 Depots der Genossenschaft "Basimilch". Kurz vor Mittag holen andere Genossenschafter:innen die Kisten ab und verteilen sie.
Von der Kuh in die Käserei – ohne Umweg
Zum Hof gehört auch eine Käserei. Dort verarbeiten drei Käserinnen die Milch zu zehn verschiedenen Käsesorten, Quark und Joghurt. Die Produkte bekommt man nur am Käseautomaten auf dem Hof oder im Abo. Denn der direkte Weg vom Hersteller zum Kundinnen und Kunden ist zentral bei der solidarischen Landwirtschaft.
Solidarische Landwirtschaft
Bäuerinnen und Bauern, die direkt für ihre Kunden produzieren, und Kundinnen, die bei der Organisation und Arbeit auf dem Hof mithelfen – das ist solidarische Landwirtschaft (SoLawi). Die Bäuerinnen und Bauern haben dabei eine Abnahmegarantie durch ihre Abonnenten, die im Gegenzug regelmässig frische Lebensmittel bekommen. Zu den Zielen der SoLawi gehört, dass die Konsumentinnen und Konsumenten einen direkten Bezug zur Landwirtschaft haben und miterleben, wie ihre Lebensmittel produziert werden. Dabei spielt der Nachhaltigkeitsgedanke eine grosse Rolle. In der Schweiz gibt es das Modell schon seit den Siebzigerjahren.
Sieben Jahre SoLawi
Für das Modell SoLawi haben sich Anita Triaca und ihr Mann vor sieben Jahren entschieden – und zwar aus einer Not heraus. Die beiden hatten den Milchbetrieb von Anita Triacas Eltern übernommen und auf Bio umgestellt. Doch sie fanden keine Abnehmer für ihre Bio-Milch. "Es gab schlicht keinen Bio-Lastwagen, der an unserem Hof vorbeikam", erklärt Anita Triaca. Hätten sie ihre Milch von einem gewöhnlichen Lastwagen abholen lassen, wäre sie mit solcher aus herkömmlicher Landwirtschaft gemischt worden. Die ganze Mühe, die Umstellung auf Bio, wäre umsonst gewesen.
Es sind zwei Paar Schuhe, ob man ein solches Projekt mit Gemüse oder mit Milchprodukten aufzieht.
"Am Anfang hatten wir Respekt"
"Wir kannten schon vor unserem Start die Kooperative 'Ortoloco' in Dietikon, die solidarische Landwirtschaft im Gemüseanbau betreibt", sagt Fabian Brandenberger. Die Idee habe ihnen schon immer gefallen. "Aber wir hatten auch Respekt davor – denn es sind zwei Paar Schuhe, ob man ein solches Projekt mit Gemüse oder mit Milchprodukten aufzieht", sagt er. Doch er habe schliesslich darin die einzige Möglichkeit gesehen, ihre Existenz zu sichern und die Wertschöpfung auf den Hof zu holen.
Besserer Milchpreis dank Genossenschafterinnen & Genossenschaftern
Jetzt können Anita Triaca und ihr Mann für ihre Milch einen deutlich höheren Preis verlangen, als wenn sie an eine Molkerei liefern würden: Aktuell erhalten sie CHF 1.- pro Liter. "Das haben wir beim Start vorausgesetzt", so Anita Triaca. "Damit stehen wir in Bezug auf den Milchpreis sicher besser da als andere Höfe", sagt sie. Und wenn die Kosten ihren Aufwand nicht mehr decken, stimmt die Genossenschaftsversammlung über eine Milchpreiserhöhung ab. "Die meisten Mitglieder sind sehr wohlwollend und bezahlen auch gerne etwas mehr für ihre Milch", sagt Anita Triaca.
"Gleichzeitig haben wir aber auch weniger Milch und höhere Kosten", ergänzt Fabian Brandenberger. Denn die Kühe werden auf dem Hof "Im Basi" nur mit Gras und Heu gefüttert und das "Original Braunvieh" ist eine Zweinutzungsrasse. Dadurch wird sie zwar seltener krank, gibt aber auch deutlich weniger Milch als spezialisierte Milchkühe.
Der Hofladen in deiner Nähe
Wir spüren Wertschätzung für das, was wir tagtäglich machen.
Viele Genossenschafter:innen, viel Wertschätzung
Natürlich hat ein System, bei dem die Konsumenten mithelfen, auch seine Tücken. Das zeigt sich auch heute: Zwei Helfer sind kurzfristig ausgefallen und das Landwirte-Ehepaar muss selbst Käse schneiden und verpacken. "Das ist allerdings schon sehr lange nicht mehr vorgekommen", betont Anita Triaca. So oder so: Die beiden schätzen den Kontakt mit den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern enorm. Sie alle teilen eine ähnliche Einstellung zu den Lebensmitteln und deren Produktion. "So spüren wir die Wertschätzung für das, was wir tagtäglich machen, noch viel mehr", sagt Anita Triaca.
Rückgang nach Corona
Von Anfang an lief es mit den Abonnementen sehr gut. "Manchmal waren wir fast an der Kapazitätsgrenze", sagt Fabian Brandenberger. Nach den sieben fetten Jahren merke man nun – im achten Jahr – allerdings einen Rückgang. Denn viele, die während der Corona-Einschränkungen ein Abo gelöst haben, wollen sich inzwischen nicht mehr verpflichten. Das mache ihr etwas Angst, gibt Anita Triaca zu. Grundsätzlich sei die Rechnung der solidarischen Landwirtschaft aber voll aufgegangen, sagen beide. Der Verdienst sei im Vergleich zu vorher zwar etwa gleich geblieben. "Aber wir müssen nicht mehr ständig rennen."
Milchbäuerinnen & -bauern aus Leidenschaft
Das Ehepaar Anita Triaca und Fabian Brandenberger übernahm 2007 den Milchbetrieb von Anitas Eltern. "Wir hatten Glück, dass der Hof nie verschuldet war", sagen sie. Zudem seien auch Anitas Eltern schon innovative Landwirte gewesen, etwa indem sie einen Milchautomaten aufgestellt und ein Feld zum Selberpflücken von Blumen eröffnet haben. Anita Triaca ist studierte Tiermedizinerin, was ihr auf dem Hof oft hilft. Fabian Brandenberger wollte nach einem Austauschjahr in Neuseeland unbedingt Schafscherer werden, entschied sich dann aber – mangels Lehrstelle als Schafscherer – für die Ausbildung zum Landwirt. Später studierte er an der Fachhochschule Agronomie.