Die Sbrinz-Route: in Slow Motion über die Alpen

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Gschicht vo hie

Die Sbrinz-Route: in Slow Motion über die Alpen

Saumpfade durchkreuzen die Schweizer Alpen seit je her. Einige von ihnen werden auch heute noch regelmässig begangen – zum Beispiel die Sbrinz-Route vom Vierwaldstättersee nach Domodossola.

Unterwegs mit Esel Bob

"Alles gut, Bob, alles gut". Giovanni Menghini sagt es leise flüsternd, wenn der Esel eine kleine Verschnaufpause einlegt. "Komm, wir gehen weiter. " Das Gelände scheint das Tier weniger zu beunruhigen als vielmehr das Tempo des Vorläufers: Das Freiberger-Pferd Lars hat etwa doppelt so lange Beine wie Bob und strotzt vor Energie. Doch wer weiss schon, was in einem Eselkopf genau vorgeht? Möglicherweise will Bob auch einfach kurz die Ohren schwenken und hören, worüber die Menschen hinter ihm gerade reden.

Esel Bob, Säumer Giovanni und ihre Fans

Esel Bob, Säumer Giovanni und ihre Fans

Säumer, Tiere und ihre Fans

Giovanni und Bob gehören zum traditionellen Saumzug auf der Sbrinz-Route – das ist jener Weg, auf dem früher Käse aus der Innerschweiz nach Italien gebracht wurde. Heute werden die Säumer und ihre Tiere beim Marsch über die Alpen von einer ganzen Schar von Fans begleitet. Sie buchen das Erlebnis als Wanderferien mit historischem Charme.

Alles gut, Bob, alles gut. Komm, wir gehen weiter.

Giovanni Menghini, Säumer

Historische Saumpfade – ein Kulturgut

An der Spitze des Zuges, der an diesem Tag im August über den Brünig unterwegs ist, läuft Daniel Flühler, Präsident der Säumer & Train Vereinigung Unterwalden. Er bietet bereits seit 20 Jahren geführte Wanderungen an, gemeinsam mit dem Förderverein Sbrinz-Route. Hinter Flühler folgen die Säumer und Pferde in einer fixen Reihenfolge, die sich daraus ergibt, wie die Tiere am besten harmonieren. Nach den Pferden kommen die Esel, dann die Fussgängerinnen und Fussgänger.

Wanderleiter und Säumer-Urgestein Daniel Flühler
Wanderleiter und Säumer-Urgestein Daniel Flühler

Nähe zu Tier und Natur

Einige der historisch gekleideten Säumer sind bereits seit vielen Jahren dabei, andere sammeln erste Erfahrungen. Giovanni Menghini nimmt zum zweiten Mal mit einem Tier an einem Saumzug teil. Esel Bob konnte er auf einem Hof ausleihen. "Mein Traum wäre, mehrere Monate mit einem Esel auf Wanderschaft zu gehen", erklärt er. Er mag das beschauliche Tempo, schätzt die Nähe zu Tier und Natur.

Dem unfassbar blauen Lungerersee entlang

Dem unfassbar blauen Lungerersee entlang

Keiner kommt auf die Idee, pressieren zu wollen. Deshalb ist es so erholsam.

Marianne Steiner, Wandrerin

Der Zauber des langsamen Tempos

"Man übernimmt automatisch das Tempo der Tiere", beobachtet Marianne Steiner, eine der Teilnehmerinnen aus der Wandergruppe. "Genau deshalb finde ich das so erholsam. Keiner kommt auf die Idee, sich beeilen zu wollen." Tatsächlich ist die Langsamkeit ansteckend. Bereits kurze Zeit nach dem Start in Giswil stellt sich ein Rhythmus ein, der sich vollkommen nach den Tieren richtet. Das muss das Säumer-Virus sein. Auch jetzt, im langgezogenen Aufstieg nach Kaiserstuhl, geht es mal zügiger, mal langsamer. Steht ein Brunnen am Wegrand, gibt es eine Trinkpause. Es bleibt Zeit, sich zu unterhalten, oder einfach die Landschaft zu bestaunen. Das liebt zum Bespiel Sandra Betschard. "Ich kenne eigentlich die Region", sagt die Teilnehmerin, "aber zu Fuss erlebe ich sie ganz anders."

Trinkpause am Wegrand

Trinkpause am Wegrand

Sbrinz, ein Geschenk für den Papst

Das Wandern ist für Sandra Betschard nur ein Teil der Faszination. Sie mag auch die historische Dimension der Strecke. Sie habe nicht gewusst, sagt sie, dass der Weg über den Grimsel- und Griespass die kürzeste Verbindung zwischen dem Vierwaldstättersee und Domodossola sei. So folgt die Wandergruppe also der einst überaus wichtigen Handelsroute für den Sbrinz-Käse. Der Hartkäse aus der Zentralschweiz zählte während Jahrhunderten zu den beliebtesten Handelsgütern. Aus dem 16. Jahrhundert ist eine Botschaft überliefert, wonach ein Bischof anordnete, man solle "formaggio di sbrinzo in bester Qualität beschaffen", um Papst Klemens VII. zu beschenken.

 

Die Sbrinz-Route

Die historische Route, auf der der Sbrinz über die Alpen gebracht wurde, verläuft über drei Pässe. Der Start für die geführten Wanderungen erfolgt entweder in Sarnen, von dort geht es über den Brünig, Meiringen, Grimselpass, Obergesteln, Griespass, Riale und Premia bis nach Domodossola. Die andere Variante startet in Engelberg, von dort führt der Weg über den Jochpass zur Engstlenalp, nach Innertkirchen und weiter über Grimsel- und Griespass.

Mehr zur Sbrinz-Route erfahren

Herzliche Begegnungen am Wegrand

Dem unfassbar blauen Lungerersee entlang geht es von Kaiserstuhl über Bürglen nach Lungern. Sobald der Saumzug in die Nähe von Wohnhäusern gelangt, winken Menschen aus den Fenstern, manche stehen mit Smartphones am Strassenrand und filmen das Ereignis. Das verbindende Element einer Säumerroute scheint auch im Jahr 2024 noch in den Köpfen der Einheimischen verankert zu sein. "Genau dieses Erbe möchten wir pflegen", so Wanderleiter und Säumer-Urgestein Daniel Flühler. Und dies, wie es scheint, mit Erfolg: Die Säumer und ihre Gefolgschaft werden an vielen Stationen entlang der Route mit speziellen Aperos oder Festivitäten willkommen geheissen, so auch in Lungern. Zur Stärkung gibt es – wie könnte es anders sein – Sbrinz!

Zur Stärkung gibt es – natürlich – Sbrinz!
Zur Stärkung gibt es – natürlich – Sbrinz!

Über Stock und Stein

Nach Lungern folgt eine anspruchsvolle Passage über die Hagsflue, ein steiler Aufstieg an Felswänden vorbei in Richtung Brünigpass, der bereits von den Römern begangen worden sein soll. Der enge Pfad durch den Wald ist allerdings erst ein Vorgeschmack auf das, was im Rest der Woche noch folgen wird. "Der Griespass ist der schwierigste Teil der Route", weiss Pferdebesitzer Reto Niggli. "Aber nicht nur dort muss man aufpassen. Es kann immer ein Misstritt passieren." Niggli kennt die Verfassung seiner beiden Haflingerstuten ganz genau. Seit seiner Pensionierung arbeitet er täglich mit ihnen im Wald, unternimmt Fahrten mit dem Wagen, reitet aus oder unternimmt Säumerzüge. Silvana und Sarina sind Routiniers, aber selbst da heisst es, stets aufmerksam zu sein.

Routiniers: Yolanda Eberhard und Pferd Silvana
Routiniers: Yolanda Eberhard und Pferd Silvana

Die kostbare, aber schwere Fracht

Selbst für Pferde, die sich das tägliche Arbeiten gewohnt sind, wäre es eine zu grosse Anstrengung, die Sbrinz Käselaiber den ganzen Weg zu tragen. Daniel Flühler erklärt: "Früher trugen die Pferde schwerere Lasten, man wechselte sie aber auch häufiger." Ein Laib mit Anbindevorrichtung wiegt 45 Kilogramm, macht total 90 Kilogramm bei je einem Laib links und rechts des Sattels. Deshalb reist der Käse heute im Begleitfahrzeug mit und wird den Pferden jeweils nur für den Einzug in die Dörfer aufgebunden. Von diesem Kompromiss einmal abgesehen fühlt man sich beim Mitwandern schnell zurückversetzt in eine andere Zeit. Der Duft eines Esel-Pupsers in der Nase und das kleine Restchen Pferdeäpfel an den Schuhen tragen das ihre dazu bei.

Unterwegs auf schmalen Waldpfaden
Unterwegs auf schmalen Waldpfaden

Wann ist ein Sbrinz ein Sbrinz?

Der Schatz der Säumer stammt ursprünglich aus der Zentralschweiz. Über viele Jahrhunderte hinweg gehörte der Sbrinz zu den Exportschlagern der Schweiz. Er wurde bereits im 16. Jahrhundert über die Pässe nach Süden gebracht. Sbrinz ist ein extraharter Vollfettkäse, der sehr viel Zeit braucht zum Reifen. Ein richtiger Sbrinz, versehen mit dem Gütesiegel AOP, muss mindestens 22 Monate reifen. Nur dann darf er Sbrinz AOP heissen, weil er nur so sein volles Aroma entfaltet. Der Name "Sbrinz" stammt aus der italienischen Bezeichnung "il sbrinzo" – vermutlich ein Hinweis auf das Berner Oberländer Dorf Brienz. Dort war damals der Sammelpunkt für den Käse, der mit Saumtieren nach Italien gebracht wurde.

Kopfbedeckung wie anno dazumal

Kopfbedeckung wie anno dazumal