
Bloderkäse – wie Mozzarella mit "Pfupf"

Bloderkäse – wie Mozzarella mit "Pfupf"
Ein Käse mit Geschichte – traditionell und fast vergessen
Es gibt sie noch: Käsespezialitäten, die fast niemand kennt. "Bloderchäs" wird in gerade mal fünf Käsereien hergestellt, eine davon betreibt Schwingerkönig Nöldi Forrer. Nicht nur seine Statur, auch sein Käse strotzt vor Urtümlichkeit. So viel sei verraten: Der Geschmack ist überraschend.
Ich gebe es zu: Als ich mich aufmachte Richtung Obertoggenburg, hatte ich keine Ahnung, was mich erwartet. Bloderchäs? Der Begriff sagt mir was, aber wie der schmeckt? Keine Ahnung. Irgendwie sauer oder so. Was eher nicht so fein klingt. Aber lassen wir uns überraschen. Im ländlich abgelegenen Nesslau in der "Königs-Chäsi" ist gerade Bloderkäse-Tag. "Wir produzieren ihn nur etwa einmal pro Woche, immer dann, wenn er in unserem Laden zur Neige geht", sagt Käsermeister Nöldi Forrer, übrigens einer der erfolgreichsten Schwinger der Schweiz.

Lea Wohlgensinger bei der Zubereitung ihres Lieblingskäses.
Erfrischend im Sommer
Die Lernende Lea Wohlgensinger ist gerade dabei, den Bruch zu sieben und die Schotte abzuleeren. "Den Bloderchäs kennt fast niemand, nur die Leute hier in der Gegend", sagt die junge Frau. "Ich habe ihn sehr gern", gibt sie zu und lächelt verschmitzt. In heissen Sommern, wenn sie auf dem elterlichen Hof beim Heuen hilft, mag sie den kühlen, erfrischenden Geschmack des Käses.

Nöldi und Lea füllen den Bruch in Formen ab.
Magermilch und Buttermilch
Was ist das Geheimnis dieses Sonderlings unter den Käsesorten? Die Herstellung sei keine grosse Hexerei, meinen Lea und Nöldi. Die Milch wird am Morgen entrahmt, anschliessend kommt die Magermilch in die Kanne und wird mit Milchsäurebakterien geimpft. Nach rund fünf Stunden Reifung leert Lea die Milch in den Mehrzweckerhitzer und dort bleibt sie nochmal rund fünf Stunden bei 25 Grad liegen. "Wir geben Buttermilch dazu und später noch einige Liter Vollmilch", erklärt Lea. Schliesslich entsteht der bereits erwähnte Bruch, der in Formen abgefüllt wird. Etwas Salz dazu, morgens und abends wenden, in Würfel schneiden – nach zwei Tagen ist der Bloderchäs fertig.
Seit 2010 AOP-Label
Bloderkäse oder Sauerkäse: Eigentlich das Gleiche, allerdings heisst es Bloderkäse, wenn das Produkt maximal 21 Tage gelagert wurde. Ab 60 Tagen, wenn sich eine Speckschicht zu bilden beginnt, wird es als Sauerkäse bezeichnet. Bloder- und Sauerkäse werden im Obertoggenburg, dem Werdenberg und im Fürstentum Liechtenstein hergestellt. Seit 2010 sind die beiden Käse im Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen AOP eingetragen.
Den Bloderchäs kennt fast niemand, nur die Leute hier in der Gegend.
Auch mal eine Nachtschicht nötig
"Er gelingt eigentlich immer", sagt Lea. Nöldi antwortet auf die Frage, ob der Käse schwierig herzustellen sei, mit "an Art nöd", fügt aber an: "Früher, als ich mit meinen Eltern und Geschwistern auf der Alp war, machten wir immer Bloderchäs. Manchmal war es verflixt, je nach Wetter gerann der Käse einfach nicht wie gewünscht." Bei einem Gewitter habe man besonders auf der Hut sein müssen. "Es konnte aber auch sonst einmal passieren, dass es länger dauerte und eine Nachtschicht nötig wurde."

So macht arbeiten Spass: beim Degustieren.
Säuerlich-würziger Geschmack
In der Käserei in Nesslau spielt das Wetter zum Glück keine Rolle. Als ich den Bruch probieren darf, schmecke ich zuerst nicht viel. Milchig, mild, angenehm – dies mein erster Eindruck. Später bekomme ich ein schönes Stück fertigen Bloderkäse zum Degustieren. Nun passiert etwas in meinem Gaumen. Immer noch mild und angenehm, gesellt sich jetzt ein leicht säuerlicher, dezent würziger Geschmack dazu, der mich an eine Mischung zwischen Mozzarella und Fetakäse erinnert. Lea nickt. "Ein bisschen sauer und etwas milchig wie Mozzarella mit mehr Pfupf."

Im Laden der Käserei kann man den Bloderkäse kaufen.
Als Ravioli-Füllung oder zum Apéro
Als Liebhaber der mediterranen Küche mundet mir der Bloderkäse, der sicher wunderbar zu Olivenöl, frischen Kräutern und mit etwas Salz dazu passt. Lea und Nöldi nicken zufrieden. Der Unterländer scheint begriffen zu haben, was Sache ist. "Er passt ideal als Feta-Ersatz in Salaten, zu Apéroplatten mit Früchten, Tomaten, Mostbröckli oder Speck gemischt", sagt der Käser. In umliegenden Restaurants gibt es den Bloderchäs als Ravioli-Füllung oder als Bestandteil einer speziellen Salatsauce.
Eigentlich ein "Ur-Käse"
Tönt verlockend, fragt sich nur, weshalb der Bloderkäse nur regional bekannt ist. Denn eigentlich ist er so etwas wie ein "Ur-Käse": Ohne Lab produziert und nur gesäuert, ist es im Prinzip das Gleiche, wie wenn man Milch stehen lässt, bis sie sauer wird. Deshalb auch der Begriff "Bloder", der im Toggenburger Dialekt so viel wie "von selbst geronnene Milch" bedeutet.
Skeptische Jury
So ist der Bloderkäse wohl eine der ältesten Käsearten weltweit und wurde vor Tausenden von Jahren von nomadisierenden Völkern aus dem Osten zu uns gebracht. Bereits bei der ersten schweizerischen Milchprodukteausstellung 1867 war Bloderkäse mit dabei. Die Preisrichter konnten sich allerdings nicht ganz mit ihm anfreunden. Man müsse sich an diesen "Liebling des St. Galler Volkes" gewöhnen, um Geschmack an ihm zu finden, befand die Jury damals. Heute hätte der Bloderkäse eigentlich das Zeug zum Trendfood: Fast kein Fett und ein hoher Proteingehalt passen perfekt zu den Ernährungsvorlieben von jungen, sportlichen und gesundheitsbewussten Menschen.

Fast schon ein Feta-Ersatz.
Aus Bloder- wird Sauerkäse
Dass der Magerkäse noch nicht zum "Superfood" auserkoren wurde, hat vielleicht auch sein Gutes. So bleibt er noch eine der wenigen Käsesorten, die ihren lokalen Bezug behalten haben. Lässt man den Bloderkäse reifen, entsteht übrigens Sauerkäse, der eine speckig-gelbe Rinde erhält. "Nach der Alpsaison nahmen wir den übrig gebliebenen Bloderkäse ins Tal runter", erinnert sich Nöldi Forrer. Je länger der Winter dauerte, desto härter wurde der Käse. "Ich weiss noch, wie wir Kinder vor dem Fernsehen an harten Käsestücken gekaut haben. Das war eigentlich unser Pommes-Chips-Ersatz und wir fanden das sehr fein."
Mein Bekenntnis
Apropos fein: Ich schiebe mir noch ein zweites und drittes Stück in den Mund. So macht Arbeiten Spass, denke ich. Und plane innerlich bereits das eine oder andere Wanderwochenende im Toggenburg – mit kulinarischen Abstechern in die örtlichen Käsereien.